Prophylaxe
Archäologische Funde zeigen: Zahnkaries war immer schon ein Problem der Menschen. Allerdings geht in der Diskussion darüber häufig etwas Wichtiges verloren: Die Funde betreffen praktisch nur Überbleibsel von Menschen aus der Führungsschicht. „Normale“ Bürger wurden einfach irgendwo verscharrt, nur Skelette von Fürsten und anderen Würdenträgern blieben über die Jahrtauschende erhalten.
Weshalb soll das wichtig sein? Kariesverursachende Süßigkeiten, vor dem Industriezeitalter war das fast ausschließlich Honig sowie mit Honig verarbeitete Lebensmittel, waren der Oberschicht vorbehalten, an so etwas kam das niedere Volk kaum heran. Damit war die Ernährung durchaus differenziert: die Oberschicht hatte Honig und Fleisch im Überfluss, das einfache Volk ernährte sich mit Getreideprodukten, Gemüse und gelegentlich Fisch, Milch und ganz selten Fleisch. Die Getreideprodukte wurden mittels einfacher Mühlen aus Stein aus dem Korn zu Mehl verarbeitet, aus dem dann Brot gewonnen wurde. Häufig enthielt das Mehl dann Beimengungen der Mühlsteine, was zu gravierenden Abrasionen führte. Karies hatte das einfach Volk jedoch in weit geringerem Maße als die Fürsten, die auch noch wegen des häufigen Fleisch Verzehrs mit Gicht geplagt waren.
Fassen wir zusammen: in der Geschichte war Karies überwiegend ein Problem der Oberschicht. Die fatale Vorliebe für Süßes und Fleisch hatte also zur Folge, dass die Oberschicht ernährungsbedingte Probleme hatte (Überernährung), während das einfache Volk eher an Unterernährung litt, mit ganz anderen Folgen. Kaum vorstellbar dass ein einfacher Bauer so adipös gewesen sein könnte wie z.B. Heinrich der Achte von England, der schon auf geschönten Bildern monströs aussah und wohl vermutlich an Diabetes litt und auch daran starb.
Nach der industriellen Revolution mit dem Ergebnis „Wohlstand für Alle“, der europäischen Kolonialpolitik mit der Einführung vorher unbekannter Produkte (Rohrzucker) und insbesondere der Entdeckung der Zuckerrübe und der Züchtung besonders ertragreicher Sorten haben wir die massivsten Veränderungen der Menschheitsgeschichte erlebt: was früher nur den Fürsten zugänglich war mit den entsprechenden Folgen der Fehlernährung wurde nun ein Massenphänomen. Jeder wollte den Fürsten nacheifern – und wurde fett, diabetisch und zahnlos und bekam Gicht und weitere ernährungsbedingte Krankheiten. Heute sieht das Bild so aus, dass der weitaus größte Teil aller Krankheiten auf diese Fehlernährung zurückzuführen sind (Beispiele: Diabetes cá 10 Prozent der Bevölkerung, Karies cá 90 % der Bevölkerung, usw.).
Zweifel an den Ursachen der Karies sollten heute keine mehr bestehen: es ist der übermäßige Zuckerkonsum, der auch noch zu Übergewicht und Diabetes führt. Epidemiologischen Daten sehen in der Verfügbarkeit und dem Konsum von Zucker zu 52% die Ursache für Karies (Streebny LM: Sugar availability, sugar consumption and dental caries. Community Dent, Oral Epidemiol 10:1-7, 1982). In Ländern mit einem Zuckerkonsum von weniger als 18 kg pro Person im Jahr findet man eine deutlich niedrigere Kariesprävalenz als in Ländern wie unserem (Streebny), und in Notzeiten (Krieg) gibt es einen messbaren Anstieg an Zahngesundheit ( Beispiel Japan – Takeuchi M.: Epidemiological study on Japanese children before, during and after World War II. Int Dent J 11:443-57, 1961). Gesünder lebende Gesellschaften haben eine generell niedrigere Kariesprävalenz (Fisher FJ. A field study of dental caries, periodontal disease and enamel defects in Tristan da Cunha. British Dent J 125:447-53, 1968).
Es gibt auch reichlich Studien, die belegen, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen, die größere Mengen Zucker verzehren, auch eine höhere Kariesprävalenz zeigen (Roberts IF, Roberts GJ. Relation between medicines sweetened with sucrose and dental disease. British Med J 2:14-16 1979).
Ebenso nimmt in Notzeiten die Häufigkeit von Fettleibigkeit und Diabetes ab –dies konnte auch in Deutschland nach dem letzten großen Krieg beobachtet werden.
Leider stehen kaum wirksame Instrumente zur Regulierung der Falsch-Ernährung zur Verfügung – Versuche in Großbritannien schlugen ebenso fehl wie in USA (GB: dort wurde vorgeschrieben wie die Schulspeisung auszusehen hat, mit der Folge, dass die Mütter den Kindern „Fish and chips“ sowie Süßigkeiten in die Schule brachten, USA: in New York versuchte der ehemalige Bürgermeister durch ein Verbot der Großflaschen Cola den Zuckerkonsum wenigstens etwas einzuschränken, das wurde dann per Gerichtsbeschluss aufgehoben). Auch dürfte Aufklärung kaum etwas nützen, dies hat schon beim Zigarettenkonsum nicht geholfen.
Analog zum Rauchen wird schon ziemlich früh in der Kindesentwicklung die Sucht erzeugt (Zucker scheint ein Suchtpotenzial zu haben, wie neuere Studien nahelegen). Ein konsequentes Werbeverbot, wie von damit befassten Wissenschaftlern sowie den Verbraucherschutzverbänden gefordert (Sendung „hart aber fair“ v. 21.1.2014) könnte, wie man das bei Tabak feststellen konnte, ebenso hilfreich sein wie eine Besteuerung dieser eindeutig gesundheitsschädlichen Produkte. Zu beachten wäre unbedingt, dass alle Zucker erfasst werden und nicht nur „Zucker“ im Sinne des Lebensmittelgesetzes, da die werbende Industrie sonst leicht ausweichen könnte auf süßende Zusätze, wie „Melasse“, „Glukosesirup“, o.ä., die alle auch nur ein Synonym für Zucker darstellen. Unbedingt kommuniziert muss jedoch werden dass Honig aus zahnärztlicher Sicht ebenso Zucker ist wie „Industriezucker“, ja, Honig ist sogar das kariogenste Lebensmittel überhaupt (vgl. Pharaonen, Fürsten, usw.; Ludwig IX, der „Sonnenkönig“, hatte eine besonders erbärmliche Mundgesundheit, dem stand auch überwiegend Honig zur Verfügung, „Zucker“ gab es noch lange nicht genug).
Nicht zu vergessen ist die Unsitte praktisch alle Lebensmittel zu süßen – ob Brathähnchen, Fleischsoße, Salatsoße oder Wurst, überall wird gezuckert. Chinesisches Essen ohne Zucker? Undenkbar! Ein kurzer Blick in eine Koch-Show überzeugt: da wird alles gezuckert. Moderne Küche folgt den vier S: „Sauer, Salzig, Süß und Scharf“ – da wird dann sogar Süßspeisen was scharfes zugemischt (z.b. Chili), braune Soße aus Puderzucker gefertigt, und rutscht dem Koch mal das Salzfass aus, korrigiert er´s mit Zucker.
Daneben haben wir dann noch die „Erfrischungsgetränke“- ausgerechnet die „Bionade“ mit einem Namen der „Bio“ und Gesundheit suggeriert, ist besonders zuckerhaltig, wobei hier Zucker mit Säure gemischt wird, was einen tatsächlich angenehm erfrischenden Geschmack ergibt, sowie die zahlreichen „Fruchtsäfte“, die auch nur Zuckerlösung sind. Das einzige natürliche (und gesunde!) Getränk ist reines Wasser!
Ebenfalls eine Täuschung sind die „Müsli“, die ebenfalls sehr zuckerhaltig sind.
Bei der finanziellen Macht der Lebensmittelkonzerne und der Empfänglichkeit der Politiker für Gefälligkeiten (kann ja auch die Karriere nach Ende des Politikerdaseins sein) ist es wohl aussichtslos an diesen Bedingungen etwas zu ändern. Und einsichtig sind die meisten Menschen nun mal nicht. Der Zusammenhang zwischen Bildung und Gesundheit ist ja ebenfalls eindeutig nachgewiesen.
Es bleibt nur als Ausweg – soll nicht alles was erwirtschaftet wird zur Finanzierung des Gesundheitswesens aufgewendet werden – die Installation effektiver Prophylaxe, Maßnahmen, die bekanntermaßen aus professioneller und individueller häuslicher Mundhygiene sowie der Gabe hochwirksamer Chemikalien, wie Fluorid, bestehen.
Mundprophylaxe mit Chemie
Wir dürfen uns von der Illusion verabschieden man könne Menschen zu einer effektiven Mundhygiene bewegen. Diverse Studien (z.B. DMS IV) sowie Verkaufszahlen der Industrie zeigen, dass die Mundhygiene mit Zahnbürste und Zahnseide nach wie vor nicht die Fehlernährung kompensieren kann. Es findet sich kaum ein plaque-freies Gebiss, und würde Zahnpflege so betrieben, dass die Zähne auch sauber sind, käme man nie mit der verkauften Menge an Zahnbürsten bzw. Zahnseide aus. Die offensichtlich einzigen Effekte auf die Zahngesundheit – die sich unbestritten inzwischen im Durchschnitt massiv verbessert hat – wurden von Chemikalien bewirkt: hier ist primär das inzwischen praktisch allen Zahncremes zugesetzte Fluorid zu nennen, daneben kommen oberflächenaktive Substanzen sowie vereinzelt auch Desinfektionsmittel zum Einsatz (Beispiel CHX). Fluoride wirken dann, wenn sie regelmäßig die Zähne umspülen (z.B. bei der täglichen Zahnpflege mit Zahnpasta), effektiv sind auch Tiefenfluoridierungen (z.B. bei der professionellen Prophylaxe in der Praxis). Die Tablettenfluoridierung n(z.B. D-Fluoretten) wurde zwischenzeitlich von der DGZ von der Empfehlungsliste genommen, da sie wohl ineffektiv ist. Eine TWF ist aus rechtlichen Gründen unmöglich, auch wäre sie unwirtschaftlich. Die Kochsalzfluoridierung hingegen hat sich in der BRD durchgesetzt, nachdem sogar ALDI nur noch fluoridiertes Salz verkauft.
Schlimm ist, dass es immer wieder Leute gibt, die öffentlich Front machen gegen Fluorid. Da eine Zensur bei uns nicht möglich ist dürfen diese „Heiligen“ fast unbehindert ihren Unsinn verbreiten, und leider fällt solche Propaganda bei vielen Menschen auf fruchtbaren Boden – wie es übrigens auch bei Amalgam so war. Es hat nie einen wissenschaftlichen Beweis für eine Gesundheitsgefährdung durch Amalgam gegeben – trotzdem haben seltsame Heilige es geschafft, Amalgam weitgehend aus den Praxen zu verdrängen. Wenn nun die Prophylaktika, die Fluorid enthalten, madig gemacht werden – dann haben wir größere Probleme. Komposite halten ohne regelmäßige Fluoridzufuhr keine zwei Jahre durch. Infolge dessen könnten wir wieder einen Zustand wie vor 30 Jahren bekommen, mit rasanter Zerstörung der Dentition bei einem Großteil der Bevölkerung. Nur, anders als vor 30 Jahren, stehen heute keine großen Ressourcen für Zahnersatz zur Verfügung.
Deshalb ist sicherlich notwendig, intensiv mit den Patienten zu kommunizieren. Dabei sollte die ganze fachliche Kompetenz eingebracht werden – dazu gehört, sich in der Thematik zuhause zu fühlen. Nichts desaströser als ein (Zahn)Arzt der auf Fragen keine Antworten zu geben weiß.
Nehmen wir also zur Kenntnis, dass derzeit Fluorid, unser bestes Prophylaxemittel, öffentlich diffamiert wird (https://newstopaktuell.wordpress.com/2013/01/11/zahnpasta-zerstorung-und-vergiftung-auf-raten/) – setzen Sie sich damit auseinander. Die DGZ, die DGZMK, die DGP – alle Fachgesellschaften stellen Infos zur Verfügung; für eine Einarbeitung bietet sich auch das Fortbildungsvideo des DDK (Deutsches Dentalkolleg) „Fluoride-Alles was Sie wissen müssen“ an, ebenso wie die vielen Publikationen im Dental Spiegel, die zu diesem Thema schon erschienen sind und deren Studium sogar Fortbildungspunkte zur Belohnung verspricht.
Keypoints einer Patientenberatung
– Kann es Zahngesundheit ohne Fluorid geben?
Ja – aber nur wenn die Lebensweise vollständig geändert wird: keine Zucker, perfekte Mundhygiene (Plaque-Index API <30), was bedeutet täglich mindestens zweimal Zähneputzen für jeweils 3 bis 5 Minuten, kontrolliert mittels Plaquerelevatoren, tägliche Anwendung von Zahnseide, ggflls. Einsatz weiterer Reinigungsinstrumente, dazu bewusster Verzicht auf alle vorgefertigten Speisen, Verzicht auf Getränke(außer reines Wasser)
– Mundprophylaktika sind notwendig bei „normaler“ Lebensweise!
Hier ist insbesondere Fluorid in jeglicher topisch eingesetzter Form das harmloseste und wirksamste Mittel; alternativ kann man CHX (Chlorhexidin-di-Gluconat) oder andere Mund-desinfektionsmittel, die alle Nebenwirkungen haben, einsetzen
Fluorid ist kein „giftiges“ Fluor, sondern ein essentielles Element, das überall vorkommt (insbesondere in Meersalz! Und in Mineralwässern) und im Vergleich zu „Salz“ viel ungefährlicher ist. Salz jedoch ist in jeder Fertignahrung, in Wurst, in Suppen, praktisch in jeder Speise („das Salz in der Suppe“ deutet schon an, dass Salz etwas Notwendiges ist) enthalten, wobei die Toxizität (alles ist abhängig von der Menge irgendwann toxisch!) um Zehnerpotenzen geringer ist als die des Chlorids („Salz“)
– ist Fluor giftig?
Ja, Fluor ist giftig – aber, Chlor auch! Und Chlor essen wir täglich in Form von Salz! Fluorid ist, ebenso wie Chlorid, als „leichtes Element“ in der Erdoberfläche ein sehr häufig vorkommendes Ion. Da Fluor ebenso wie Chlor sehr reaktionsfreudig ist kommt es in der Natur nicht vor, nur in Form des einfach negativen Ions „Fluorid“, normalerweise in Verbindung mit Natrium, Kalium und Kalzium, die ebenfalls sehr häufig vorkommende Elemente der äußeren Erdschicht darstellen.
– Was ist der Unterschied zwischen Fluor und Fluorid?
Fluor gehört zur Elementegruppe der „Halogenide“ und hat 7 äußere Elektronen, um die Edelgaskonfiguration zu bekommen nimmt es gerne ein Elektron auf und wird so zum einfach negativ geladenen Fluorid. Alle Halogenide verhalten sich so (Fluor, Chor, Jod, usw.). Besonders stabil sind Salze (also Verbindungen aus Halogen-Ionen und Metallionen) mit Alkali-Metallen (Lithium, Natrium, Kalium, usw.). Um den Unterschied zwischen Element und Ion noch besser zu veranschaulichen: Kalium und Natrium sind Alkalimetalle, die bei Berührung mit Wasser explodieren (das hat bei Lithiumbatterien schon zu heftigen Bränden geführt!). Kein vernünftiger Mensch würde also mit Natrium hantieren wollen – aber, Natrium ist essentiell für das Leben, ohne Natrium-Ionen könnten Zellen nicht funktionieren. Deshalb essen wir täglich „Natrium“ in Form des Natriumchlorids. Ist also ganz was anderes, Fluor und Fluorid…
Mit der nötigen Kompetenz kann das Gespräch durchaus von Mitarbeiterinnen geführt werden; notwendig ist jedoch dass sich der Praxischef davon überzeugt, dass das nötige Wissen vorhanden ist – und, der Zahnarzt muss als oberste Autorität natürlich auch auf verunsicherte Patienten einwirken und darf die Prophylaxekraft nicht im Stich lassen, wenn Fragen der Patienten kommen. Wie sollte sonst die professionelle Prophylaxe noch funktionieren, wenn die wichtigsten Hilfsmittel vom Patienten abgelehnt werden?!