Zahnheilkunde und Bio-Regeneration
Die Geschichte zeigt uns, dass es immer schon eine große Sehnsucht gegeben hat, verlorenes Gewebe wiederherzustellen. Insbesondere die Zähne waren von enormer Wichtigkeit, weshalb sich schon in der Vorzeit Menschen damit befassten. In Ägypten beispielsweise war es üblich, dem Pharao, der durch sein Wohlleben („Milch und Honig“) seine Zähne meist in jungen Jahren schon verloren hatte, frische Zähne von Sklaven mittels Golddraht im Mund zu befestigen, damit die Zeichen des Alters – und da fällt primär die Zahnlosigkeit auf – nicht so allfällig waren. Berühmt ist auch die Prothese von George Washington, die wohl kein Schmuckstück zahnärztlicher Kunst gewesen sein mag.
Nun ist eine Prothese eben immer nur eine Prothese, und mit Holzbein läuft es sich nicht so gut wie mit den eigenen, und eine Haarprothese lässt ebenfalls Wünsche offen.
In neuerer Zeit haben wir uns auf zwei Epidemien konzentriert: die Karies und die Parodontitis, die am weitesten verbreiteten Krankheiten überhaupt, weit vor „Krebs“ oder „Herz- /Kreislauf“. Hier hat rastloser Erfindergeist Lösungsansätze gefunden, wie man von den unbefriedigenden Prothesen (Ersatz durch Fremdmaterial, dazu gehören auch Füllungen!) zu eher komfortablen Versorgungen kommen könnte. Zu nennen sind da primär die Implantatversorgung sowie die Knochenaugmentation und die regenerative Parodontologie. Die Entwicklungen in der Zahnheilkunde haben wesentliche Impulse in die Allgemeinmedizin hinein geliefert, denken wir nur an die Orthopädie, deren Methoden der Gelenksprothesen abgeleitet sind von den Erfindungen der zahnärztlichen Implantologie. Die Bone Regeneration hat sich ebenfalls in der Allgemeinmedizin etabliert, denken wir z.B. an den Wiederaufbau von Wirbelknochen. Wir haben noch lange nicht das erreicht, was die Menschen als Fernziel anstreben – aber, wir haben sehr viel erreicht, und dazu hier eine Bestandsaufnahme.
Regeneration von Zahnhartgewebe
Dies ist der ultimative Wunschtraum: ungestraft alles tun können, um die Zähne zu zerstören, und dann via Regeneration alles wieder auf Ausgang stellen. Denken wir an all die großartigen Versprechungen – es gibt einen Kariesimpfstoff (die Sau treiben sie seit Jahrzehnten durchs Dorf der „Fach“Literatur), an die Idee, echte dritte Zähne via Genmanipulation zu gewinnen, uns was es sonst so an Utopien gibt. Bisher ist nichts davon auch nur überhaupt annähernd möglich – nur, an Wunder glaubt man eben gerne.
Zu dem Themenkomplex gehört auch die Utopie, verlorene Zahnhartsubstanz wieder herzustellen. Erinnern wir uns: da gab es „biologische“ Füllungsmaterialien, die in die Zahnkavität eingebracht wurden und dann einheilen sollten (funktioniert bis heute nicht!), usw. Sogar die Idee, durch Säure (Erosion) verlorene Zahnsubstanz wieder aufzubauen gehört in den Bereich Utopie – man kann nur (das ist ja auch schon eine ganze Menge) entmineralisierte Zahnhartsubstanz (Schmelz) durch spezielle Pflegemittel (z.B. besondere Zahncremes, Spülungen, Pasten zum Auftragen, etc.), solange noch organische Matrix vorhanden ist, wieder remineralisieren. Und, auch das scheint zu funktionieren, man kann durch Auftrag spezieller Lacke (dabei handelt es sich im Prinzip um ungefülltes Bonding mit Zusätzen, die antibakteriell wirken sollen) geschädigtes Dentin abdecken – die enthaltenen Keime sterben ab und es findet eine Reminaralisierung statt. Wirklich kariöses Zahnhartgewebe kann man jedoch keinesfalls regenerieren.
Auch durch Erosion bzw. Abrasion verlorene Zahnsubstanz bleibt verloren, zur Prophylaxe gibt es keine Alternative. Da jedoch der Verlust der Zahnsubstanz in mehreren Phasen abspielt kann man wenn man rechtzeitig interveniert Schlimmeres verhindern – Demineralisationzonen werden mit Intensivfluoridierungen regeneriert, Erosionsgebiete können durch Spülungen mit Pufferlösungen, mit Pasten und Fluoridierungen eingegrenzt werden, usw. Prophylaxe, wie wir sie heute betreiben, ist zum Teil auch biologische Regeneration.
Parodontale Regeneration
Bei der Parodontitis – eine fast ubiquitär vorkommende Erkrankung des Zahnhalteapparats mit einer Morbiditätsrate von cá 60 Prozent – entsteht ein entzündlicher Prozess, basierend auf persistierender Zahnplaque (heute korrekter „Biofilm“ tituliert), der die knöchernen Strukturen des Zahnbetts angreift. Eine überschießende Abwehrreaktion führt zur Osteolyse mit dem Ergebnis Zahnlockerung und schließlich – verlust.
Die tradierte PAR-Therapie bringt den entzündlichen Prozess zum Stillstand, kann jedoch den eingetretenen Verlust an alveolarem Stützknochen nicht bzw. nur minimal ausgleichen. Deshalb wurden schon vor Jahrzehnten Methoden untersucht, wie man den Gewebeverlust umkehren könnte. Dazu wurden Verfahren der „GTR“ (gesteuerte GewebeRegeneration) entwickelt.
Das primäre Problem der GTR ist, dass man in einem besonders keimgelasteten Gebiet arbeitet. Auch wenn die parodontale Tasche durch chirurgische und / oder antibotische Maßnahmen weitgehend keimfrei gemacht werden konnte – was durchaus nicht die Regel ist -, es findet permanent eine Reinfektion durch die ubiquitär in der Mundhöhle vorhandenen Keime statt. Eine keimfreie Mundhöhle ist schlicht unvorstellbar. Damit ist stets ein Scheitern im Bereich des Möglichen.
Erschwerend kommt hinzu, dass das Mundhöhlenepithel unter dem Einfluss von Speichelproteinen (Epithelwachstumsfaktor) sehr rasch proliferiert. Bindegewebe oder gar Knochen hingegen wachsen nur sehr langsam. Diesen Wettlauf verliert das Bindegewebe regelmäßig, es kommt zum Einsprossen von Epithel entlang der Zahnwurzel. Wirklich regeneriert ist das parodontale Gewebe jedoch nur dann, wenn sich entlang der Zahnwurzel neues parodontales Gewebe gebildet hat: Zahnzement und Sharpeye´sche Fasern, also echtes marginales Parodont. Eine epitheliale Grenze des Weichgewebes zur Zahnwurzel jedenfalls ist keine Regeneration.
Nun werden zahlreiche Methoden und Varianten propagiert, um parodontale Defekte aufzufüllen. Dabei sollte o.a. Betrachtungsweise zur Beurteilung der Tauglichkeit herangezogen werden:
– Ist eine echte Regeneration zu erwarten oder wird der Defekt nur mechanisch aufgefüllt?
– Ist die Defektauffüllung, die röntgenologisch zu sehen ist, verbleibendes Augmentationsmaterial oder hat eine Umwandlung in Knochen stattgefunden?
Die
Mebrantechnik
hat den Nachteil, dass die Prognose bisher unzuverlässig war, d.h., es konnte keine sichere Vorhersagbarkeit in den zahlreichen Literaturstellen gefunden werden. Möglicherweise liegt diese Unsicherheit im Patienten (jegliche Infektion macht eine regenerative Heilung unmöglich), es kann jedoch auch die Unsicherheit im Behandler liegen. Metaanalysen haben gezeigt, dass erfahrene Parodontologen eine höhere erfolgsrate hatten als weniger erfahrene Kollegen.
Problematisch sind auch die Defektgeometrie sowie die Defektgröße. Daneben können auch Wirtsfaktoren die Heilung stören: Rauchen, Besonderheiten des Immunsystems, Alkoholabusus, Diabetes, usw. Dass bei so vielen Einflussgrößen eine Reproduzierbarkeit bzw. präzise Voraussagbarkeit der GTR zumindest unsicher wenn gar gänzlich unkalkulierbar ist sollte einleuchten. Das muss jedoch nicht besagen, dass die Methode ganz unnütz wäre – die Riskioaufklärung muss jedoch hier besonders sorgfältig erfolgen, was angesichts der hohen Kosten die Zahl möglicher Behandlungen reduziert.
Die Membrantechnik beruht auf der prinzipiellen Überlegung, dass ein Einwachsen von Mundhöhlenepithel in die Tiefe verhindert werden soll. Damit soll dem Bindegewebe unterhalb der Membranabdeckung Zeit zur Formation gegeben werden. Dazu ist ein dichter Verschluss gegenüber der Mundhöhle erforderlich, was angesichts des Zahndurchtritts nicht einfach sichergestellt werden kann. Die Membran muss also sehr fest an den Zahn angelegt werden. Dies dient auch einem Schutz vor infektiösen Keimen. Unterhalb der Mebrna, so der gedankliche Ansatz, kann sich dann aus Blutkoagel Bindegewebe bilden, das dann im Lauf der Zeit zu Knochen umgewandelt wird. Vin apikal, so die Theorie, wird dann ein echtes Parodont durch Zellproliferation nach oben wachsen. Ist erst einmal eine bindegewebige Ausformation entstanden wird die Membran entbehrlich.
Bei größeren Defekten ist eine Membran alleine nicht ausreichend. Hier müssen Füller mit eingebracht werden, um ein Zusammenfallen des „Zeltdachs“ zu verhindern. Solche Füller müssten jedoch resorbierbar sein, um ebenfalls in vitalen Knochen umformatiert werden zu können. Zumindest müsste ein großer Teil an Knochen entstehen, um ein Parodont zu ermöglichen. Reine mechanische Stabilisierung durch Füllmaterial würde bedeuten, dass sich Epithel an der Zahnwurzel entlang ausbildet, also ein überlanges Saumepithel entsteht, das infektiösen Angriffen aus der Mundhöhle kaum Wiederstand entgegen setzen kann.
Ein anderer Gedankenansatz ist eine Förderung der Ausbildung parodontaler Strukturen durch
Einbringung von Wachstumsfaktoren.
Dabei wird auf die gereinigte Wurzeloberfläche ein Proteingemisch aufgebracht, das spezielle Wachstumsfaktoren enthält, die die Ausbildung neuen Zahnzements beschleunigt. Die besonders sorgfältige Vorbereitung der Wurzeloberflächen – Debridement, Dekontamination, Konditionierung – ist dabei elementar, anders wäre nicht einmal theoretisch ein Erfolg zu erwarten. Bei korrekter Vorgehensweise erreicht man damit ähnliche Ergebnisse wie mit der Membrantechnik, bei etwas geringerem operativem Aufwand. Bei voluminösen Defekten gilt wie bei der Membrantechnik, dass Augmentate eingebracht werden müssen. Auch eine Kombination von aller drei Möglichkeiten ist andenkbar.
Allerdings ist die Infektionskontrolle stets das Hauptproblem: jegliche Infektion führt zu einer Verschlechterung der Ergebnisse bis hin zum totalen Fehlschlag. Deshalb gilt:
– Besonders sorgfältige Selektion der Patienten (optimale Compliance ist sine qua non)
– Vorbehandlung und Taschenbehandlung bis hin zur Keimfreiheit sind obligat
– Ein besonders enger Recall ist unverzichtbar, um mögliche Schachstellen rechtzeitig behandeln zu können, u.U. mit Anitiotika (lokal und/oder systemisch), Antiseptika (CHX etc.)
Augmentation und knöcherne Regeneration
Nicht nur für die Implantation, auch für schleimhautgetragene Prothetik ist die Regeneration von verlorengegangenem Gewebe wichtig, das wird leicht vergessen. Zahnersatz, der auf total atrophierten Kieferknochen ausgesetzt wird kann kaum wirklich funktionieren, und instabile Prothesen sind für Patienten meist inakzeptabel. Hier ist daran zu denken Kieferkamm durch Augmentation wieder herzustellen – dabei kommt nicht nur die Autotransplantation durch Einsetzen von Knochen aus dem Beckenkamm in Frage, es sind auch Methoden beschrieben, Knochen durch synthetische Augmentationsmaterialien, eventuell in Verbindung mit Titanmesh, zu gewinnen. Das Titan dient dabei als Katalysator für die Knochenneubildung ebenso wie als Stabilisator der Form bzw. als Schutz vor Belastung.
Ganz besonders wichtig werden regenerative Methoden wenn man Implantate plant – ohne ausreichend Knochen kann man auch kein Implantat mit zuverlässiger Prognose setzen. Zu den bekannten Augmentationsverfahren gesellt sich mittlerweile eine zusätzliche Möglichkeit, nämlich der Einsatz von Knochenwachstums-fördernden Proteinen. Analog der GTR in der Parodontologie wird bei der GBR (Guided Bone Regeneration) mit Membranen gearbeitet, nur dass wir hier den Vorteil eines dichten Verschlusses gegen die keimbeladene Mundhöhle haben und weniger mit Infekten zu kämpfen haben.
Das Hauptproblem nach Zahnverlust ist bekannt: innerhalb kurzer Zeit atrophiert der Alveolarfortsatz, wobei durch Druckbelastung (schleimhautgetragene Prothesen) der Vorgang beschleunigt wird. Im Oberkiefer haben wir, anders als im UK, auch noch eine generell schlechte Knochenqualität (mehr Spongiosa) und im Bereich der Kieferhöhlen eine interne Atrophie – die Sinus maxillariae weiten sic h nach Zahnverlust aus bis nur noch eine dünne Knochenlamelle Mund- und Kieferhöhle trennt. Ohne regenerative Maßnahmen ist nach Zahnverlust nur eine Sofort- bzw. verzögerte Sofortimplantation (schon nach nur vier Wochen verzeichnen wir messbaren Knochenverlust) möglich. Augmentative Methoden, die nur „Masse“ anbieten, jedoch keinen echten Knochen, sind problematisch. Denn, eine Implantatinsertion in lediglich mit Augmentat aufgefülltem Implantatbett bietet deutlich weniger Stabilität (nur „echter“ Knochen wird bei funktioneller Belastung organisch/biologisch eine Verstärkung erfahren) und es können verzögerte Fremdkörperreaktionen auftreten, die die Situation unbeherrschbar machen.
Deshalb wird stets eine echte Regeneration angestrebt, mit möglichst vollständigem Umbau des Augmentats in vitalen Knochen.
Dies ist besonders leicht zu erreichen wenn man es gar nicht erst zu massiver Atrophie kommen lässt – hier sind Methoden der Socket prevention bzw. Alveolar ridge preservation beschrieben, die eine sofortige Intervention nach Extraktion bedeuten. Dabei werden Augmentate direkt nach Zahnentfernung in die Extraktionsalveole eingebracht und können so die normale Degeneration des Alveolarknochens deutlich verlangsamen.
Liegt die Atrophie vor, so ist der „Goldstandard“ immer noch die Beckenkammtransplantation, wobei man sich bewusst sein muss, dass dies für den Patienten sehr belastend ist (es resultiert eine Gehbehinderung für längere Zeit!) und keine hundertprozentige Erfolgsgarantie bedeutet. Nicht selten geht im Laufe eines Jahres ein Großteil des Augmentats verloren, und auch Fälle von Totalverlust sind beschrieben.
Es wurde zahlreiche Produkte entwickelt, die hier Alternativen bieten. Die Literaturangaben sind dabei widersprüchlich – der Zahnarzt sollte sich in die Literatur das bevorzugte Material betreffend einlesen und dann seine persönliche Erfolgsstatistik erstellen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass letztendlich nur dann Sicherheit über die erfolgreiche Augmentation mit Gewinnung neuen Knochens besteht, wenn durch Gewebsentnahme der Nachweis gelingt. Jedoch können regelmäßige röntgenologische Kontrollen starke Indizien für die knöcherne Umwandlung liefern.
Dabei ist zu beachten dass im Fall von GKV-Versicherten die aktuelle Praxis der Prüfstellen so aussieht dass die Röntgenkontrollen regelmäßig als „unwirtschaftlich“ angesehen werden und man deshalb mit Regressen rechnen muss. Es ist deshalb dringend anzuraten im Fall von Implantatplanungen auch die Röntgendiagnostik in der Planungsphase sowie auch in der Nachsorge nach Abdingung privat nach GOZ abrechnet, um spätere böse Überraschungen zu vermeiden. Dies muss jedoch schon bei der Planung mit dem Patienten nach Beratung (Verweis auf die aktuelle Prüfproblematik) vereinbart werden, um hier Rechtssicherheit zu gewinnen. Es könnte sonst der Fall eintreten, dass man die Röntgendiagnostik privat liquidiert, der Patient mit der Rechnung zur Kasse läuft und dort die falsche Antwort auf seine Fragen erhält – die Kasse erstatte selbstverständlich alles notwendige, der Zahnarzt sei ein Abzocker und wolle sich ungerechtfertigt bereichern. Das macht sich dann gar nicht gut auf den neu eingerichteten Bewertungsseiten der Kassen…