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Prophylaxe – nicht nur für die Zähne!

Prophylaxe 

In einer IDZ-Studie (Schneller u. Hendriks) vor cá 10 Jahren wurde eindrucksvoll gezeigt, woran es gelegen hat, dass sich die Prophylaxepraxis noch nicht allgemein durchgesetzt hatte: Die Patienten seien „desinteressiert“, „zahlungsunwillig“ und „fragen Prophylaxeleistungen nur unzureichend nach“, so die Auskünfte der Praxen. Auch stünde zu wenig Raum zur Verfügung, man kenne sich selbst nicht genügend aus (!), man sei ungenügend motiviert (!) und habe dafür zu wenig Zeit. Auf Nachfrage erfährt man dann, dass Prophylaxeleistungen nur angeboten würden, wenn Patienten aktiv danach fragten.

Zwei Drittel aller Befragten gaben immerhin auch an, sie verbänden mit dem Angebot professioneller Prophylaxe einen Imagegewinn für die Praxis.

 

Heute stellt sich die Situation grundlegend anders dar: die Praxen sind gut besetzt mit qualifizierten Mitarbeitern (innen) und bieten Prophylaxe (“professionelle Prophylaxe“, teilweise nur PZR) überall an. Hier hat ein wirklich drastischer Paradigmenwechsel stattgefunden. Trotzdem zeigen die Untersuchungen des IDZ (Institut der deutschen Zahnärzte) in der DMS IV wieder einen Anstieg der Parodontitis, obgleich doch durch das Flächenangebot der professionellen Prophylaxe gerade das Gegenteil zu erwarten wäre.

Gleichzeitig geht die Karies weiter zurück (Daten der DMS IV), was kaum auf vermehrte häusliche Mundhygiene zurückzuführen sein kann (denn, dann gäbe es ja keine Zunahme der PAR). Es muss also andere Erklärungen für die Diskrepanz (Kariesrückgang, gleichzeitig jedoch Zunahme der PAR) geben.

 

Der Rückgang der Kariesmorbidität ist, so muss man annehmen, nicht einer verbesserten häuslichen Mundhygiene oder einer etwa besseren Lebens- und Ernährungsweise zuzuschreiben, sondern den massiven Verbesserungen der angebotenen Mundprophylaktika: Spüllösungen, Zahnpasten, Gele Lacke, alle mit hochwirksamen Fluoridverbindungen ausgestattet, haben die Karies zurückgedrängt. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Verbesserungen nicht alle Menschen betreffen. Neuzuwanderer (Migranten) und sozial Schwache haben bisher nicht oder nur wenig profitiert, bei ihnen finden sich weiter häufige und schwere Läsionen. Mehr als 75% der Karies wird bei Kindern aus sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten festgestellt. Gleichzeitig sind die Erfolge zielgerichteter Präventionsanstrengungen gerade bei dieser Bevölkerungsgruppe gering (Claus H. Reinhardt, Nadine Löpker, Michael J. Noack, Evelyne Rosen, Klaus Klein: Kulturelle Unterschiedlichkeit als Chance: Pilotstudie zum Tutoreneinsatz zur Kariesprävention bei Kindern aus sozial benachteiligten Haushalten und/oder mit Migrationshintergrund, Wrigley Prophylaxe Preis 2009).

Parallel zu den in o.a. Studie genannten Lücken in der häuslichen Prophylaxe bezüglich Frequenz und Häufigkeit sowie Technik ist anzunehmen, dass hier auch Defizite hinsichtlich der eingesetzten Mundprophylaktika existieren. Hochwirksame Prophylaktika erfordern den Einsatz finanzieller Mittel, die in den genannten Bevölkerungsschichten für andere priorisierte Zwecke eingesetzt werden und für die Körperpflege fehlen. Zudem, auch dies wurde wissenschaftlich untersucht und nachgewiesen, wird im Prekariat mehr geraucht und insgesamt ungesünder getrunken und gegessen. Deshalb erreicht die Verbesserung der Mundgesundheit eben nicht alle Menschen in diesem Land. Die Gesundheitsdefizite sind jedoch umfassender: „Die sozialen Lebensbedingungen sind mit entscheidend für Gesundheit und Krankheit – Bildung, Einkommen und berufliche Stellung gehören zu den wichtigsten gesundheitlichen Einfluss Faktoren. Doch auch die Wohnumgebung, soziale Beziehungen und selbst politische Verhältnisse wirken sich auf die Gesundheit aus“ (Thomas Lampert, Update des Gesundheitssurvey der BRD/RKI, Berlin, 2013). Laut DEGS sind Menschen mit geringem Sozialstatus öfter von einer Herz-Kreislauf- oder Zuckerkrankheit und auch häufiger von Depressionen betroffen als der Schnitt.

Auch bei der gesundheitsbezogenen Lebensqualität schneiden Menschen mit geringerem sozioökonomischem Status statistisch schlechter ab. In der aktuellen DEGS-Studie wurde dieser bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern bestimmt mittels eines speziellen Index. Haushaltsnettoeinkommen, die berufliche Stellung und das Bildungsniveau sind Hauptparameter. Anhand dieses Index kann man einteilen in niedrigen, mittleren und hohen Sozialstatus. Dieses Schichtenmodell ist seit langem Standard in der Soziologie.

Für sich allein spielt das Einkommen nicht die Hauptrolle. Z.B. können Einkommen, Berufsprestige und Bildungsniveau auseinanderfallen – ein als Status-Inkonsistenz bezeichnetes Phänomen. Allerdings ist festgestellt worden, dass insbesondere die Bildung eine besondere Bedeutung für viele gesundheitliche Aspekte zu besitzen scheint (RKI, Berlin, 2013).

 

Bildung führt zu gesünderen Verhalten?

Für Rauchen oder starkes Übergewicht wurden solche Zusammenhänge gefunden. Lampert gibt an, dass die Adipositas in höheren Bildungsschichten deutlich seltener vorkommt, auch rauchen die gut Ausgebildeten weitaus weniger.

Die DMS IV ist zu analogen Ergebnissen gekommen wie die aktuelle Studie des RKI.

Es gibt kumulative Effekte von Einkommen und Bildung auf die Mundgesundheit.

Eine ganz aktuelle Studie des IDZ, basierend auf der DMS IV, hat die Einflüsse der Faktoren Einkommen und Bildung auf die Mundgesundheit jeweils separat und in Kombination untersucht. Dazu sind die Daten der Erwachsenen-Altersgruppe der 35- bis 44-Jährigen aus der Vierten Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS IV) nachausgewertet worden. Einkommen und Bildung stellen demnach Faktoren dar, die unabhängig voneinander soziale Ungleichheiten in Bezug auf die Mundgesundheit auslösen, sie korrelieren nur moderat miteinander. Sie beziehen sich eher auf unterschiedliche Dimensionen sozialer Benachteiligung und machen damit Prophylaxeprogramme wesentlich komplizierter (Geyer, S., Schneller, T., Micheelis, W.: Social gradients and cumulative effects of income and education on dental health in the Fourth German Oral Health Study. Community Dent Oral Epidemiol 38, 2010, 120-128).

 

Es gibt also zwei Problem-Felder auf denen Lösungen gefunden werden müssen: Die hohe Karies-Morbidität in der sozialen Unterschicht und bei Migranten sowie die weiter ansteigende Parodontitisprävalenz in allen Bevölkerungsschichten.

 

Problem Parodontitis

 

Prophylaxe ist abgeleitet aus dem griechischen „prophulaktikos“  und wird von der internationalen Gemeinde definiert als „Prevention of or protective treatment for disease“. Prophylaxe bedeutet also Vorbeugung bzw. Verhinderung von Krankheiten sowie Behandlungen, die den Ausbruch von Krankheiten verhindern sollen. Nun ist die Parodontitis, so von den internationalen Gesellschaften ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt, keine lokale Erkrankung der Mundhöhle. Z.B. fordert die Deutsche Gesellschaft für Diabetologie seit Jahren eine enge Zusammenarbeit mit den Zahnärzten, da eine Wechselwirkung zwischen Blutzuckerspiegel und parodontaler Gesundheit in beide Richtungen nachgewiesen werden konnte. Daneben steigt bei persistierender PAR das Risiko für Herz-/Kreislauferkrankungen, Probleme in der Gravidität, es gibt wohl auch Zusammenhänge mit nephrologischen Problemen, kurz, die PAR ist eine ernstzunehmende Erkrankung des gesamten Organismus mit zum Teil lebensbedrohlichem Ausmaß.

 

Krankheits-Prophylaxe hat deshalb nicht nur das alleinige Ziel, Krankheiten zu verhindern. Durch Prophylaxe soll auch

 

•          die Lebenserwartung verlängert

•          die Lebensqualität verbessert

•          die Seuchengefahr eingedämmt

•          eine Angleichung der Lebensverhältnisse bewirkt

 

werden.

Dazu werden regelmäßig von der WHO, der Weltgesundheitsorganisation, Zielvorgaben formuliert. Dabei wird nirgends vorgeschrieben, dass Prophylaxe Kosten sparen soll – dies wäre ein Widerspruch zu den Vorgaben der WHO ebenso wie ein Verstoß gegen die allgemeinen Menschenrechte („Menschenrechtscharta“), formuliert von der UNO und in die nationalen Gesetzgebungen (Grundrechte) der europäischen Mitgliedsstaaten ebenso wie der europäischen Richtlinien eingearbeitet. Das Menschenrecht auf Gesundheit, Unversehrtheit von Leib und Seele sowie Selbstbestimmung ist „unantastbar“, so die Formulierungen der Gesetze. Nirgends sind Grundrechte relativiert „…wenn es nicht zu viel kostet…“. Die Einführung von wirtschaftlichen Kriterien, wie in den meisten Ländern, stellt regelmäßig einen Verstoß gegen die Menschenrechte dar und wird von den entsprechenden Organisationen auch angeprangert. Die Gesundheit, die Lebenserwartung, usw. dürfen nicht vom Geldbeutel abhängig gemacht werden.

Hier ist es bedenklich, dass die professionelle Prophylaxe beim Zahnarzt, zahlreiche Prophylaxe-Untersuchungen (z.B. Vorbeugeuntersuchungen auf Glaukom in der Ophthalmologie) auch beim Allgemeinarzt einfach aus dem Leistungskatalog der GKV gestrichen wurden bzw. „privat“ bezahlt werden müssen. Sozial Benachteiligte werden so ihrer Menschenrechte (siehe oben) beraubt. Es ist sicherlich korrekt dass die Ausgaben im Gesundheitswesen weiterhin stetig steigen – eine Folge primär der Alterung der Gesellschaft sowie der schlechten Erreichbarkeit der sozialen Unterschicht für Präventionsprogramme -, nur, die schlichte „Kostendämpfung“ kann nicht der rechte Weg sein. Insbesondere die soziale Unterschicht, ebenso wie die stetig zunehmende Gruppe der Zuwanderer sowie, nicht zu vergessen, der Pflegebedürftigen,  bedürfen großer Anstrengungen insbesondere in der Umsetzung adäquater Präventionsprogramme, da sonst der Erfolg, der bei der Masse der Versicherten erreicht werden konnte, durch die überdimensionalen Ausgaben für die Ausgegrenzten  konterkariert wird.

Allerdings stehen Probleme auch für die breite Masse zur Lösung an: insbesondere in den wohlhabenden Ländern weisen die Menschen eine große Zahl an chronischen Krankheiten auf, d.h., sie sind nicht gesund. Die Experten der WHO haben herausgearbeitet, dass die Veränderung der Lebens- und Ernährungsgewohnheiten zu einer massiven Zunahme an chronischen Krankheiten (NCDs) geführt hat, als da sind

•          Fettsucht

•          Diabates mellitus

•          Cardio-vasculäre Krankheiten (CVD)

•          Bluthochdruck

•          Infarkt

•          Verschiedene Arten an Krebs

•          Osteoporose

•          Dentale Erkrankungen

Dies wird als massive Bedrohung gesehen, die die Lebenserwartung verkürzt sowie die bereits heute stark strapazierten Gesundheitssysteme zusätzlich belastet werden (Joint WHO/FAO Expert Consultation on Diet, Nutrition and the Prevention of Chronic Diseases met in Geneva from 28 January to 1 February 2002.). Die Ernährung wird als bestimmender Faktor für die Gewinnung und den Erhalt der Gesundheit über die gesamte Lebensspanne gesehen. Die Rolle der Ernährung ist als wichtigster determinierender Faktor für die Entstehung chronischer Erkrankungen sehr gut untersucht und dokumentiert. Deshalb muss diesem Faktor in allen Überlegungen zur Prävention größte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Denn: die chronischen Erkrankungen, die in Verbindung stehen zu Fehl- bzw. Mangelernährung, stellen die schwersten Belastungen dar für den öffentlichen Sektor und sind ebenso verantwortlich für Jahre der Behinderung (disabilityadjusted life years DALYs). Die Probleme der ernährungsbedingten chronischen Krankheiten sind noch besser zu veranschaulichen, wenn man die dadurch bedingten Todesfälle betrachtet: 2001 bereits konstatierte die WHO 60 Prozent der insgesamt gezählten 56,5 Millionen Todesfälle sowie 46 Prozent der weltweit gezählten Krankheiten als direkte Folge. Für 2020 ist ein Anteil von 57 Prozent an NCDs vorausgesagt.

Etwa die Hälfte der Todesfälle werden von cardiovaskulären Problemen verursacht, Fettsucht (Adipositas) und Diabetes nehmen an Bedeutung stark zu, und zwar nicht nur in der Breite der Population, sondern sie beginnen das Leben immer jüngerer Menschen negativ zu beeinflussen.   Für 2020 werden etwa zwei Drittel aller Todesfälle weltweit durch o.a. chronische Erkrankungen verursacht werden, und es wird weiter prognostiziert, dass 71 Prozent cardiale Ischämie (IHD), 75 Prozent Infarkte und 70 Prozent Diabetes als Todesursachen (alleine oder in Kombination) auftreten werden. Alleine Diabetes wird auf das 2,5-fache ansteigen, so die Prognose, von weltweit  84 Mio. (1995) auf 228 Mio. in 2025. Übergewicht und Adipositas haben heute schon früher nie für möglich gehaltene Größenordnungen erreicht. Z.B. müssen wir in Deutschland von etwa 60 Prozent Übergewichtigen ausgehen, Tendenz weiter stark steigend. Jedoch sind bisher – im Gegensatz zu anderen Ländern mit ähnlicher Problematik – seitens der Verantwortlichen in der Politik bzw. der GKV kaum Anstrengungen erkennbar, hier gegenzusteuern. Im Gegenteil: es wird verstärkt darum gerungen, Adipösen gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen, obgleich doch eine gesundheitliche, selbstverschuldete, Störung vorliegt. Es scheint, dass die Politik nicht die Fettsucht als Problem sieht, sondern die Bekämpfung derselben.

 

Im Gegensatz dazu postuliert die WHO, dass neben einer kostenaufwändigen medizinischen Behandlung der Betroffenen die kosteneffektivste, leicht bezahlbare und sogar mit geringem Aufwand verbundene Methode die Prävention sei um den Horrorzahlen zu begegnen. Die Entwicklung hinsichtlich zahnmedizinischer Prävention bestätigt diese Annahmen: betrugen die Ausgaben für Zahnheilkunde 1985 noch etwa 20 Prozent der Gesamtgesundheitskosten, so sind dies aktuell nur noch etwa 6 Prozent, ein Beweis, wie gut Prävention funktionieren kann, trotz der unsinnigen Behinderungen durch eine lediglich auf Einsparungen fokussierten Politik.

 

Im Rahmen einer integrierten Gesundheitspolitik müssen deshalb frühzeitig Risikofaktoren identifiziert und dann zur gezielten Prävention genutzt werden. Bei den bekannten Risikofaktoren sind Alter, Geschlecht und genetische Disposition nicht modifizierbar, jedoch andere Risiken, wie Ernährung, körperliche (In-) Aktivität, Nikotinabusus, Alkoholabusus schon. Ebenso können Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck, Übergewicht, metabolisches Syndrom als Vorstufe zu Diabetes sehr gut modifiziert werden.  Die WHO-Strategen weisen ebenfalls explizit darauf hin, dass sozioökonomische Faktoren u.ä. großen Einfluss auf die Gesundheit haben und ebenso modifizierbar wären.

 

Zahnheilkundliche Prävention als Spezialgebiet der Prophylaxe

 

Zunächst ist der Begriff “Mundgesundheit” zu definieren. Diese Definition lautet entsprechend der  WHO so: Mundgesundheit bedeutet keine chronischen Zustände von Schmerzen im Mund oder Gesicht, keine Krebserkrankung im Mund- oder Rachenbereich, keine Geburtsfehler (Beispiel Spaltenbildung), keine Erkrankung an Gingiva oder Parodont, keine Zahnkaries, kein Zahnverlust bzw. keine fehlenden Zähne, sowie Abwesenheit anderer möglicher Erkrankungen oder Störungen der Mundhöhle.

Die Risikofaktoren sind weitgehend dieselben wie bei den chronischen Allgemeinerkrankungen, wie cardiovaskuläre Störungen, chronische Erkrankungen des Respirationstrakts, Diabetes, Neoplasmen, sie sind teilweise auch mit diesen verknüpft. Die Risikofaktoren sind insbesondere ungesunde Ernährung, Tabakgenuss, Alkoholabusus; dazu kommt noch das spezielle Risiko ungenügende Mundhygiene.

Dazu Zahlen der WHO: weltweit haben 60 bis 90 Prozent der Schulkinder Zahnkaries, d.h., sie sind chronisch krank. 5-20 Prozent der Erwachsenen mittleren Alters zeigen schwere Parodontalkrankheiten auf, die unbehandelt rasch zum Zahnverlust führen. Die Häufigkeit von oralen Krebserkrankungen liegt bei ein bis zehn per 100 000. Angeborene Störungen (z.B. Spalten) finden wir in etwa jedem 50sten – bis 700sten Neugeborenen. 40 bis 50 Prozent der HIV-positiven haben oralen Pilzbefall oder virale Infekte, ebenso bakterielle Infektionen, die alle in einem relativ frühen Stadium auftreten. Um die Belastungen aus Zahn- und Munderkrankungen zu mindern, können gezielt Risikofaktoren angesprochen werden:

•          Eine Reduktion des Zuckerverbrauchs sowie eine ausgewogene Ernährung können Karies und vorzeitigen Zahnverlust deutlich vermindern

•          Verzicht auf Rauchen und exzessiven Alkoholkonsum reduziert das Risiko für Mundhöhlenkarzinome, parodontale Erkrankungen und vorzeitigen Zahnverlust

•          Substitution von Fleischprodukten durch Obst und Gemüse vermindert das Risiko von Mundhöhlenkarzinomen

•          Bei Sport, Rad- und Motorradfahren können Gesichts- (und Zahn)verletzungen durch adäquate Schutzkleidung bzw. Gesichts- und Zahnschutz effektiv verhindert werden.

 

Neben diesen von der WHO zitierten Faktoren müssen wir als neu hinzugekommene Risiken auch die durch saure/süße Erfrischungsgetränke sowie Fruchtsäfte (!) verursachten Demineralisationsvorgänge (Erosionen nehmen in gravierendem Ausmaß zu), die durch Bruxismus in Kombination mit Demineralisation und Abrasion durch nachlässige Putztechnik sowie teilweise problematische Zahnpasten („Weißmacher“ mittels verstärkter Putzkörper) verstärkt auftretenden Zahnhalsdefekte sowie nicht zuletzt die neu hinzugekommene DHS (Dentinhypersensibilität). Wissensfragen haben gezeigt, dass Zahnärzte sowie ihre Mitarbeiter häufig keine ausreichenden Kenntnisse auf diesem Gebiet haben.

Neben der Abarbeitung der Mundhöhlenproblematik ist der Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten („Zahnarzt“) gehalten, auch Allgemeinerkrankungen (siehe oben: Adipositas, Diabetes, etc.) anzusprechen. Immerhin sieht der Zahnarzt die Patienten häufiger als der Allgemeinarzt, er/sie sieht in der Mundhöhle häufig als erster Anzeichen von Krankheit (z.B. Diabetes), und nicht zuletzt informiert sich ein Patient eher in der Zahnarztpraxis zu Ernährungsthemen als beim  Allgemeinarzt.

 

Kleine Getränkekunde

Das einzige natürliche und unschädliche Getränk ist reines Wasser. Unter allen Lebensmitteln stellt Leitungswasser in Deutschland das sicherste und schadstoffärmste dar. Flaschenwasser hingegen hat nicht selten eine hohe Belastung durch Nitrat (die Analysenwerte finden sich auf dem Etikett; Nitrat ist ein Synonym für in den Bodens eingedrungenes Oberflächenwasser, und bei biologischem Anbau findet sich dann im Brunnenwasser auch noch eine bakterielle Belastung). Zugesetztes Kohlendioxid ist bereits zahnschädlich, die Säure wirkt demineralisierend. Das Sprudeln verhindert auch dass der schale Geschmack des abgestandenen Wassers empfunden wird, man kann es als „Schönung“ verstehen.

Fruchtsäfte sind prinzipiell stark säurehaltig, auch wenn sie süß schmecken. Zucker hat die unangenehme Eigenschaft andere Geschmacksqualitäten zu unterdrücken: Getränke oder Speisen, die Zucker enthalten, können über die Geschmacksempfindung, die eigentlich einen Schutzmechanismus darstellt, nicht mehr beurteilt werden.

Als Zucker ist jedes niedermolekulare Kohlenhydrat, das einen süßen Geschmack hat, zu betrachten, also nicht nur die Saccharose.

Auch verdünnte Fruchtsäfte („Schorle“) sind stark sauer mit einem pH um 2-3! Besonders zahnschädlich sind frisch gepresste Säfte, bei denen der Säureangriff besonders ins Gewicht fällt und die landläufig als „gesund“ gelten.

Es gibt Anbieter von Fruchtsäften die dem Getränk Kalzium zusetzen, diese wären im Zweifel zu bevorzugen, da Kalzium puffernd wirkt und die Demineralisation weitgehend verhindert.

 

Neben den vermeintlich „gesunden“ Fruchtsäften werden in Unmengen „Erfrischungsgetränke“ verkauft und konsumiert. Nach Angaben des Bundesverbandes des Deutschen Getränkefachgroßhandels (BV-GFGH) werden Produkte von 1 280 Brauereien, 400 Fruchtsafterzeugern, 225 Mineralbrunnen und 180 Softdrink-Produzenten verkauft. Beliefert werden 186 000 Gaststätten, 14 900 Tankstellen, 11 600 Getränkefachmärkte sowie 43 000 Lebensmitteleinzelhändler. Vom Absatzvolumen vertreibt der Großhandel etwa 80% des Gesamtausstoßes der Brauereien, rund 40 bis 45% bei den Mineralbrunnen, bei Softdrinks etwa 30% und bei den Fruchtsäften nur noch 20%. Der Getränkefachgroßhandel führt selbst rund 7 000 eigene Getränkefachmärkte. Im Getränkefachgroßhandel waren nach der aktuellen Umsatzsteuerstatistik (Februar 2013, Branchenspecial Getränkefachhandel) im Jahr 2010 4 362 Unternehmen tätig, die einen Umsatz von fast 19,4 Mrd. € erzielten.

Erfrischungsgetränke sind durch die Bank süß, sie enthalten jedoch auch sehr viel Säure, der pH ist selten höher als pH 2. Wegen des Gemisches schmecken sie weder sauer noch übermäßig süß, obgleich teilweise sogar noch Intensiv-Süßungsmittel (Süßstoffe, z.B, Aspartam) zugesetzt werden.

 

Auch Milch ist als Getränk denkbar ungeeignet, selbst wenn die Werbung anderes verheißt. Milch ist ein nicht zu unterschätzender Kalorienlieferant und führt in Kombination mit anderen Nahrungssünden zur Adipositas, auch wenn Milch oder Milchprodukte, sofern sie nicht „geschönt“ sind (z.B. durch Zuckerzusatz) zahnunschädlich sind aufgrund des hohen Kalziumgehalts. Erschwerend kommt hinzu, dass Milch meist noch mit Zusätzen „trinkbarer“ gemacht wird, z.B.  wird Kakao hinzugefügt (Schokodrink), der noch mehr Fett enthält, zusätzlich wird die Milch auch noch gesüßt, was ebenfalls die Fettsucht fördert. Im Gegensatz zu den von Interessenverbänden propagierte Anschauungen, Zucker mache nicht dick, muss festgestellt werden, dass Zucker sehr wohl zur Adipositas führt (z.B. Robert H. Lustig: Fat Chance: Beating the odds against sugar, processed food, obesity, and disease. Fourth Estate/Hudson Street Press, 2012). Im angeführten Titel geht der Endokrinologe Lustig näher auf die Zusammenhänge ein.  Ausgehend von der Tatsache, dass es einen statistischen Zusammenhang gibt zwischen der enormen Zunahme fettleibiger Menschen (in den letzten dreißig Jahren eine Verdoppelung) und der Veränderung der Essensgewohnheiten (es wird zunehmend entweder außer Haus gegessen oder zuhause auf Fertiggerichte zurückgegriffen) wurde das, was die Menschen zu sich nehmen, genauer angeschaut. Restaurants ebenso wie Hersteller von Fertiggerichten setzen große Mengen an Zucker ein, was dazu geführt hat, dass der Zuckerkonsum den höchsten Stand der Geschichte erreicht hat. Lustig gibt endokrinologische Erklärungen, weshalb Zucker zu Adipositas führen kann: bei Zuckerverzehr steigt der Insulinspiegel rasch an, jedoch wird gleichzeitig eine Leptinresistenz erzeugt. Leptin ist ein Hormon, das von Fettzellen produziert wird und dem Organismus signalisiert, keine weitere Nahrung aufzunehmen (Sättigungsgefühl). Dies führt zu einer verstärkten Fetteinlagerung. Wenn die zugeführten Nährstoffe der Leptinresistenz wegen nicht mehr zur Verfügung stehen, weil sie unmittelbar in Fettzellen eingebaut werden, bleibt das Hungergefühl bestehen. Das Gehirn kann nicht auf „genug“ umschalten, und man isst mehr als gut wäre.

Lustig listet schädliche Nahrungsbestandteile: Zucker jeglicher Art, auch solche, die nicht als „Zucker“ auf das Etikett aufgedruckt sind (z.B. Fructose, Corn-Syrup). Fructose wird als „Toxin“ angesehen, weil sie in der Leber unmittelbar in Fett verstoffwechselt wird. Daneben werden Alkohol, Amoinosäuren (wie in Sport-Diäten1) und Trans-Fette als besonders schlimm bezeichnet.

 

Analysen von Qi et al. aus zwei großen Kohortenstudien zur Adipositas zeigen ebenfalls in diese Richtung: es gibt eine klare Korrelation der Konsumation von Süßgetränken mit der Gewichtsentwicklung.  2–6 Getränke pro Woche erhöhen das Risiko um 38 %, eines oder mehr Getränke pro Tag schon um 78 %. Bei realistischem Ansatz müssen wir jedoch von deutlich mehr Konsum ausgehen.

 

 

 

 

Dass es zu den volkswirtschaftlichen und individuellen (z. Krankheit, vorzeitiger Tod) Schäden, verursacht durch die Ernährungsindustrie, nur sehr wenige Studien gibt, die auch noch kaum Verbreitung finden, lässt sich mit der wirtschaftlichen Macht der Industrie leicht begründen. Die Medien sind auf die Werbeeinnahmen angewiesen, die Ernährungsindustrie ist in der Werbung überproportional vertreten und kann sich das auch leisten. Am Beispiel einer Brause („verleiht Flügel…“) lässt sich das nachvollziehen – hier wird ein Billigprodukt zu völlig überhöhten Preisen so vermarket, dass richtig gut daran verdient wird. Trotz massiver Werbung scheint noch einiges an Überschuss zu bleiben…

Da auch die Wissenschaft durch Kürzungen der staatlichen Mittel abhängig geworden ist (Stichwort „Einwerbung von Drittmitteln“) darf gefolgert werden, dass weder Wissenschaft noch Medien ein Interesse daran  haben könne, auf solche Zusammenhänge hinzuweisen.

 

 

Der Gesamtumsatz der deutschen Ernährungsindustrie betrug nach eigenen Angaben 150 Mrd € jährlich, Tendenz weiter steigend. Alleine der Zuckerabsatz belief sich 2012 auf insgesamt  3940,8 Tausend Tonnen, davon lediglich 460,5 Tsd. Tonnen als Haushaltszucker (bmelv-statistik). Als „Zucker“ wird nach deutschem Lebensmittelrecht ausschließlich Saccharose (Rohr-, bzw. Rübenzucker) bezeichnet. Die Zuckervarianten, als da sind Glucose, Fructose, Maltose, Dextrose, Maltodextrin, usw. sind deshalb zusätzlich zu werten, da sie genauso gesundheitsschädlich sind wie der „weiße Zucker“ (im Übrigen auch „brauner Zucker!) und lediglich Substitute darstellen, die gerne dann für Lebensmittel „ohne Zuckerzusatz“ Verwendung finden. Auch Honig ist nicht der Gesundheit zuträglich, da Honig nichts anderes ist als eine konzentrierte Zuckerlösung. 1,1 Kilogramm Honig verbraucht jeder Deutsche durchschnittlich pro Jahr. Dies ist weltweit der höchste Pro-Kopf-Konsum (Bundesagrarministerium). Insgesamt werden in Deutschland jährlich etwa 88.000 Tonnen Honig konsumiert.

 

Zu beachten ist für uns: Zucker stellt (neben Salz) eines der ältesten bekannten Konservierungsmittel dar. Die Ernährungsindustrie benötigt heute besonders deshalb Zucker, weil die meisten „chemischen“ Konservierungsmittel bei den Konsumenten auf Ablehnung stoßen, auch dies mit steigender Tendenz: je mehr „Bio“ desto mehr Zucker, lässt sich ganz einfach schlussfolgern.

 

Bio ist kein bisschen gesünder – aber, Deutschland ist der siebtgrößte Absatzmarkt für Bio-Lebensmittel in Europa. Der Markt für Biolebensmittel erreichte 2012 ein Volumen

von ca. 2,5 Mrd. Euro, das entspricht rund 3-4% des deutschen

Lebensmittelmarktes.

 

Ernährung

Es ist dringend zu empfehlen ein Ernährungstagebuch führen zu lassen, in dem insbesondere Getränke (siehe oben) sowie alle verzehrten Speisen gelistet werden, und dabei muss wohl explizit darauf hingewiesen werden, dass alles zu zählen hat, auch „Snacks“ zwischendurch, Knabbereien vor den Hauptmahlzeiten, ebenso Knabbereien im Kino oder vor dem Video, und nicht zu vergessen, auch der Zeitpunkt ist zu notieren. Nur so kann man sich (und den Patienten) ein realistisches Bild verschaffen. Dabei genügt es nicht Kaffee“ aufzuschreiben, da muss notiert werden, wie viel Zucker da eingerührt wurde, oder „Popcorn“, da muss man schon wissen, gezuckert, gesalzen oder gar gebuttert.

Für den Fall dass „Salat“ notiert worden ist – da hat man zu hinterfragen; welches Dressing? Üblich ist, dass Salatsoßen eine nicht geringe Menge an Zucker enthalten, wie fast alles was in der Gastronomie angeboten wird, ebenso wie in Fertiggerichten.

Denken wir an die Kochschulen: da wird immer und überall Zucker beigefügt – „Zucker ist ein Gewürz“ -, und selbst in Fertigsuppen oder Tiernahrung (!) findet sich ein Anteil an Zucker.

 

Zusammenfassend ist die Schlussfolgerung, dass vermehrte Kalorienzufuhr mittels gesüßter Speisen und Getränke bedeutsam sein könnte (da Getränke ja meist additiv zum Essen konsumiert werden) stimmig und kann, bei allen methodischen Problemen von Ernährungsstudien, unterstützt werden. Das ist jedenfalls bei der Beratung von Patienten zu berücksichtigen.

 

 

In Deutschland wird der Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferkankheiten leider fälschlich als „Zahnarzt“ tituliert. Die Reduktion auf „Zahn“ wäre jedoch nicht dem Tätigkeitsfeld adäquat. Nimmt der „Zahnarzt“ seine Aufgaben, die ihm vom öffentlichen Gesundheitswesen zugewiesen werden, ernst, so muss er sich auch mit den o.a. anderen als ausschließlich in der Mundhöhle lokalisierten Erkrankungen auseinandersetzen, er muss sie erkennen und ansprechen.

 

 

 

 

Weitere Literatur dazu: Stefanie Gerlach · diabetesDE – German Diabetes Aid

The representative EsKiMo-Study (part of KiGGS-Study = Child and Adolescence Health Survey in Germany, 2007) shows, that 6 year old boys are consuming 5kg sugar/year via Lemonade only (Sugar, aroma, water) and this amount gradually grows until 30kg/year in the age of 15-17.

Stahl, A., C. Vohmann, A. Richter, H. Heseker and G. B. Mensink (2009). „Changes in food and nutrient intake of 6- to 17-year-old Germans between the 1980s and 2006.“ Public Health Nutr: 1-12.

 

This may be one reason why obesity in children and adolescsents rose lately in Germany (and there are no signs of a reversed trend until today).

Rosario, A. S., B. M. Kurth, et al. (2010). „Body mass index percentiles for children and adolescents in Germany based on a nationally representative sample (KiGGS 2003-2006).“ Eur J Clin Nutr 64(4): 341-9.

 

The evidence base for a causal correlation of sugar consumption and obesity in children is considered as „probable“ by the German Society of Nutrition (Grade 2 of 4).

 

N engl J med 2012 oct 11;367(15):1397-406. epub 2012 sep 21

A trial of sugar-free or sugar-sweetened beverages and body weight in children

de Ruyter JC, Olthof MR, Seidell JC, Katan MB

 

  N engl J med 2012 oct 11;367(15):1407-16. epub 2012 sep 21

A randomized trial of sugar-sweetened beverages and adolescent body weight

Ebbeling CB, Feldman HA, Chomitz VR, Antonelli TA, Gortmaker SL, Osganian SK, Ludwig DS

 

  N engl J med 2012 oct 11;367(15):1387-96. epub 2012 sep 21

Sugar-sweetened beverages and genetic risk of obesity

Qi Q, Chu AY, Kang JH, Jensen MK, Curhan GC, Pasquale LR, Ridker PM, Hunter DJ, Willett WC, Rimm EB, Chasman DI, Hu FB, Qi L

Nationale Verzehrsstudie II (NVS II, 2005-2006) jeder 5. Bundesbürger adipös (BMI

≥ 30 kg/m2), 66 % der Männer und 51 % der Frauen im Alter von 18 bis 80 Jahren sind übergewichtig (BMI ≥ 25 kg/m2) (Max Rubner-Institut 2008).

Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS, 2003-2006) – ca. 6 % werden als

adipös eingestuft, 15 % der Kinder und Jugendlichen im Alter von 3-17 Jahren sind übergewichtig (Kurth und Schaffrath Rosario 2007).

 

 

 

 

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