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NOLDE UND DER NORDEN

Wo liegen die Anfänge des weltbekannten, in seiner Heimat tief verwurzelten und wegen seiner Anhängerschaft zum Nationalsozialismus kritisch zu betrachtenden Künstlers Emil Nolde? Die Ausstellung Nolde und der Norden geht dieser Frage nach und beleuchtet die weitgehend unerforschten Arbeiten des Künstlers, die in seiner Zeit in Dänemark von 1900 bis 1902 entstanden sind. Die Schau deckt Motive und stilistische Elemente auf, die in den darauffolgenden Jahren charakteristisch für Nolde wurden. Erstmals wird der Einfluss der dänischen Künstlerinnen und Künstler auf Noldes Schaffen systematisch aufgezeigt. Rund 80 Werke Noldes stehen 25 Gemälden dänischer Künstlerinnen und Künstler der Zeit, wie Georg Achen, Anna Ancher, Vilhelm Hammershøi, Carl Holsøe, Peter Ilsted, Viggo Johansen, Peder Severin Krøyer, Julius Paulsen und Laurits Andersen Ring gegenüber.

Emil Nolde: Vor Sonnenaufgang, 1901, Nolde Stiftung Seebüll, Öl auf Leinwand, 84 x 65 cm, Fotocredit: Fotowerkstatt Elke Walford, Hamburg, und Dirk Dunkelberg, Berlin Fotobesitz: Nolde Stiftung Seebüll © Nolde Stiftung Seebüll

Vom 16. Oktober 2021 bis 23. Januar 2022 zeigt das Bucerius Kunst Forum in Kooperation mit der Nolde Stiftung Seebüll eine umfangreiche Schau mit Werken Emil Noldes, die größtenteils zwischen 1900 und 1902 entstanden sind und die durch die dänische Kunst der Zeit und durch die Sagenwelt des Nordens inspiriert wurden. Die Ausstellung, die auf einer Idee von Magdalena M. Moeller basiert, weist in der Gegenüberstellung von Noldes Werke mit Arbeiten dänischer Künstlerinnen und Künstler Parallelen in Motivik und Stil auf. Sie zeigt, wie prägend diese Werke für Emil Nolde waren und sogar bis in sein Spätwerk hinein Spuren hinterließen. Die dänische Kunst um die Jahrhundertwende war berühmt für Interieurs mit weiblichen Rückenfiguren und seitlich einfallendem Licht, stimmungsvolle Landschaften mit dem besonderen Licht des Nordens und Figurendarstellungen mit symbolistischem Gehalt. Nolde griff diese Motive während seines Aufenthalts in Dänemark auf. Zudem beeinflusste ihn die Sagenwelt Skandinaviens zu frei geschöpften Bildideen in der Welt des Fantastischen. Vor diesem Hintergrund gliedert sich die Ausstellung in vier thematische Kapitel: Menschenbilder, Interieur, Landschaft und Fantastik, die jeweils chronologisch angelegt sind.

Emil Nolde: Kanal (Kopenhagen), 1902, Nolde Stiftung Seebüll, Öl auf Sackleinen, 65,5 x 83 cm, Fotocredit: Fotowerkstatt Elke Walford, Hamburg, und Dirk Dunkelberg, Berlin Fotobesitz: Nolde Stiftung Seebüll © Nolde Stiftung Seebüll

Als Emil Nolde im Rahmen der Weltausstellung 1900 in Paris die von der Presse hoch gelobte und mit Medaillen ausgezeichnete Kunst in der dänischen Sektion sah, muss ihn dies nachhaltig beeindruckt haben. Er zog nach Kopenhagen und schloss nach seinem Studium in sehr renommierten privaten Malschulen in München und Paris ein weiteres Studienjahr in der besonders anerkannten Schule von Kristian Zahrtmann in Kopenhagen im Oktober 1900 an. Neben seinem Aufenthalt in der Hauptstadt verbrachte er einige Monate auf dem Land: in Rungsted, in Hundested und längere Zeit in Lild Strand. In dieser Zeit lernte er auch seine Frau Ada Vilstrup kennen, die er kurz danach heiratete. Sie spielte eine maßgebliche Rolle in seiner zukünftigen Karriere. In Kopenhagen besuchte Nolde zahlreiche Ausstellungen mit Werken dänischer Künstlerinnen und Künstler und auch einzelne, bedeutende Maler, namentlich Vilhelm Hammershøi und Viggo Johansen, in ihren Ateliers oder Zuhause. Seine Begegnungen, Ausstellungsbesuche, alte und neue Erkenntnisse förderten seine Experimentierfreudigkeit. So wurde der Aufenthalt in Dänemark für Nolde eine Zeit des Experimentierens, Ausschöpfens gesammelter Eindrücke und der Beginn seines Individualisierungsprozesses.

In der dänischen Kunst waren bereits Anfang des 19. Jahrhunderts Interieurszenen ein auffällig häufiges Bildmotiv. Hammershøi, als einer der bekanntesten dänischen Künstler der Zeit, war insbesondere für diese Motive berühmt. Auch Viggo Johansens, Anna Ancher, Joakim Skovgaard, Georg Achen, Peter Ilsted und Carl Holsøe griffen dieses Thema auf. Nolde widmete sich dem Sujet erstmals in seiner Zeit in Lild Strand. In Skagen, einem Fischerdorf, das sich zur Künstlerkolonie skandinavischer Künstlerinnen und Künstler entwickelte, die am Aufbruch in die dänische Moderne mitwirkten, entsteht ein ähnlicher Umgang in der Darstellung der Interieurs. Dieser lässt sich auch in Noldes Werk beobachten: eine weibliche Figur als zentrales Motiv in Rückenansicht, ein seitlicher Lichteinfall und eine Atmosphäre, die auf das psychologische Befinden der Figur hinweist.

Emil Nolde: Zwei am Meeresstrand, 1903, Nolde Stiftung Seebüll, Öl auf Leinwand, 73,5 x 88,5 cm, Fotocredit: Fotowerkstatt Elke Walford, Hamburg, und Dirk Dunkelberg, Berlin Fotobesitz: Nolde Stiftung Seebüll © Nolde Stiftung Seebüll

In den Landschaftsbildern der skandinavischen Künstlerinnen und Künstlern dieser Zeit spielt das nordische Licht eine herausgehobene Rolle. Eine blaue Tonalität erzeugt eine romantische oder gar mystische Stimmung und intensiviert die Bildaussage. Dies lässt sich beispielsweise auch in Noldes Gemälde Zwei am Meeresstrand erkennen. Nolde malte in Dänemark erstmals Meeresbilder, die als „Samenkorn“ für sein Gesamtœuvre gesehen werden. Zudem ist eine Symbiose zwischen Natur und Mensch in der Formgebung und Farbigkeit in einigen seiner Werke zu erkennen. Es treten die realen Bezüge in den Hintergrund und Formen und Farben ordnen sich dem Gesamtgefüge unter. Sie machen einer größeren Offenheit Platz, die in den Folgejahren wichtiger Bestandteil von Noldes Werken wird. Auch seine Hinwendung zu intensiven, leuchtenden Farben und sein großes Interesse an den Lichtverhältnissen wird hier bereits sichtbar. Ein Grund für die Inspiration Noldes durch Kopenhagen mag auch in seiner dänisch-deutsch Prägung liegen, da er im Grenzgebiet zu Dänemark aufwuchs. Mit sämtlichen dänischen Künstlerinnen und Künstlern dieser Periode verbindet Nolde die tiefe Verwurzelung in der eigenen Heimat. Diese Verbundenheit zwischen Menschen und Umgebung, die einer geographischen und kulturellen Region zuzuordnen ist, stellt auch eine Parallele zur nationalromantischen Kunst der skandinavischen Länder und Island dar.

Bekannt für seine farbgewaltigen Landschaften und Blumenbilder, sah Nolde sich selbst als Figurenmaler: „Die Menschen sind meine Bilder. Lachet, jubelt, weinet, oder seid glücklich. Ihr seid meine Bilder, und der Klang Eurer Stimme, das Wesen Eurer Charaktere in aller Verschiedenheit, Ihr seid dem Maler Farben.“ Auch in der Darstellung der Menschen findet Nolde Anregung in der Kunst der nordischen Malerinnen und Maler.

Im Bereich der Fantastik zeigt die Ausstellung, wie die Sagenwelt des Nordens mit Wikingern, Kriegern und Königen Nolde schon früh und immer wieder als Quelle der Inspiration diente und ihn zu fantastischen Figurenbildern anregte. In Dänemark schuf er mit Vor Sonnenaufgang zwei frei erfundene, wurmartige Flugwesen und mit einer umfangreichen Werkgruppe zum Thema Räuber, Figuren, die in seiner Darstellung der Märchenwelt zugeordnet werden können. 1904, 1911/12, 1922 und ab den 1930er Jahren greift Nolde den Motivkreis erneut auf mit Werken wie Begegnung I (1904), Wiking (Halbfigur) (1912) und Gaut der Rote (1938).

Noldes Rolle im Nationalsozialismus wurde 2019 in der Ausstellung Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus in Berlin auf der Grundlage einer umfangreichen Recherche thematisiert. Die Ausstellung im Bucerius Kunst Forum konzentriert sich nun auf die weitgehend unerforschten Arbeiten Noldes im Zeitraum von 1900 bis 1902. Vor diesem Hintergrund wird in der Ausstellung mit der Spannung zwischen künstlerischem Werk und politischer Gesinnung umgegangen und die historischen Erkenntnisse werden offen dargelegt, wenn sie sich inhaltlich ergeben. Zu Noldes Verhalten im Nationalsozialismus sei hier auf die im Rahmen der Berliner Ausstellung überarbeiteten Biografie des Künstlers der Nolde Stiftung Seebüll hingewiesen.

Zur Ausstellung erscheint im Hirmer Verlag ein umfangreicher Katalog mit Beiträgen von Astrid Becker, Sören Groß, Annika Landmann und Magdalena M. Moeller (ca. 220 Seiten mit farbigen Abbildungen der ausgestellten Werke, 29,90 Euro in der Ausstellung).

 

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