Altersmedizin
Cave: Biophosphonate
Zunehmend findet man bei Patienten, verstärkt bei älteren, Kiefernekrosen, die gerne unterschätzt werden. Ende 2003 wurde erstmalig über schwer zu therapierende Entzündungen im Kieferbereich berichtet, die auf die Anwendung von Medikamente gegen Osteoporose sowie insbesondere im Zusammenhang mit Onkologie zurückgeführt wurden. Seit nun mehr als 14 Jahren ist die Problematik der Kiefernekrose ein wichtiges Therapiefeld in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und Zahnmedizin geworden.
OA Dr. Dr. Sebastian Hoefert, Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, des Universitätsklinikum Tübingen, hat da seine Berufung und ganz spezielles Tätigkeitsfeld gefunden.
Er war 2003-2010 Leiter der Bisphosphonatsprechstunde in Recklinghausen und führt seine Tätigkeit seit 2010 in Tübingen fort. An der Universität Tübingen fungiert er als Leiter Tumorboard Zentrum für Kopf-Hals-Tumoren (ZKHT) in der Sektion MKG. Er dürfte aktuell der führende Wissenschaftler auf diesem Gebiet sein.
Solche Nekrosen werden bevorzugt von spezifischen Pharmaka getriggert – Biophosphonate, wie man sie aus Waschmitteln kennt, bzw. Antiresorptiva, sind Medikamente, die in der heutigen Krebstherapie und der Therapie der Volkskrankheit Osteoporose Anwendung finden. Biophosphonate begünstigen eine Knochenresorption bzw. -Nekrose. Wenn nun z.B. extrahiert wird, heilen die Defekte nicht aus, sie breiten sich sogar weiter aus. Deshalb empfiehlt Hoefert dringend, vor jedem chirurgischen Eingriff am Knochen, auch vor jeder Extraktion, unbedingt in der Anamnese auf BP (Biophosphonate) zu achten. Nach Einschätzung des Spezialisten liegt das Risiko bei BP-Medikation, nach Knochenverletzung eine Nekrose zu entwickeln, bei 70 %.
Deshalb die dringende Empfehlung: eine Gebiss-Sanierung unbedingt vor Einleitung einer Antiresorptionstherapie abschließen. Dazu ergeht die Forderung, eine BP-Medikation im Patientenausweis einzutragen bzw. den Zahnarzt zu informieren.
Als weitere Empfehlung wird angeregt, eine antibiotische Abdeckung für den Fall einer den Knochen betreffende Maßnahme vorzusehen sowie regelmäßig einen dichten Wundverschluss (keine offene Extraktionswunde) zu generieren.
Kiefernekrosen sind keine neue Erkrankung, auch wenn sie in Vergessenheit geraten ist. Erstmals trat diese für die Betroffenen dramatische Krankheit in USA bei Arbeitern in der Produktion der beliebten selbstentzündenden Streichhölzer auf. Hier wurde die Modifikation „weißer Phosphor“ eingesetzt, der auch bei Brandbomben im Weltkrieg Verwendung fand. Nachdem der Zusammenhang klar wurde, wurde die Streichholzproduktion auf roten Phosphor umgestellt, dabei traten solche arbeitsbedingten Probleme nicht mehr auf, und weißer Phosphor wurde nach und nach aus den Produktionsprozessen verbannt. Erste Erkenntnisse stammen schon aus 1845.
Die stetige Fortentwicklung der onkologischen Therapie hat diese Erkrankung wieder in Erscheinung treten lassen, und auch Medikationen gegen Osteoporose tragen dazu bei, dass es wieder zunehmend solche Diagnosen gibt. Natürlich ist die Forschung aufgerufen, wirksame Pharmaka ohne solche Nebenwirkung zu entwickeln, jedoch ist es auch erforderlich, dass Ärzte bzw. Zahnärzte das Krankheitsbild richtig deuten und Kenntnis zur risikobehafteten Therapie beim Arzt erlangen – eine verbesserte Kommunikation zwischen Arzt/Onkologe und ZMK-Arzt ist auch unter diesem Aspekt eine dringende Forderung.
Die Forschung Hoeferts wird gefördert durch Drittmittel von der Konrad Morgenroth Förderergesellschaft e.V., DGZMK, Dental e.V. und AO (Förderprogramm ARONJ)