Implantologie
Versuch einer Systematik
Es werden in Deutschland jährlich bis einer Million Implantate gesetzt – Tendenz weiter steigend. Ausschließlich implantierend tätig sind jedoch nur ca. 4.000 bis 5.000 Zahnärzte. Der „gewöhnliche“ Hauszahnarzt wird im Normalfall Implantatpatienten an Implantologen überweisen. Alle Zahnärzte sollten aber unbedingt über ausreichende Kenntnisse zu allen Implantattypen verfügen, um ihre Patienten kompetent beraten zu können.
Im prothetischen Beratungsgespräch muss die Alternative „Implantat“ erwähnt werden (Beratungspflicht). Die Vorbehandlung liegt beim Hauszahnarzt und sollte entsprechend kompetent und sorgfältig durchgeführt werden. Die prothetische Suprakonstruktion obliegt in den meisten Fällen ebenfalls dem Hauszahnarzt und muss entsprechend vorgeplant und anschließend ausgeführt werden.
Die Nachbehandlung und Langzeitbetreuung liegt ebenfalls beim Hauszahnarzt und ist gerade bei Implantatpatienten ausgesprochen wichtig und diffizil.
Implantate sind eine besonders hochwertige und langlebige Alternative zu Brückenprothetik bzw. schleimhautgetragenem Ersatz. Warum ist das so?
Die Brücke zieht stets die Pfeilerzähne besonders in Mitleidenschaft. Darüber hinaus weist die Brücke noch eine wesentliche Schwachstelle auf: erkrankt ein Brückenpfeiler erneut – das ist kein seltenes Ereignis, darüber muss aufgeklärt werden! In etwa 5 % der Fälle einer Präparation fällt innerhalb der nächsten Jahre eine apikale Veränderung in der röntgenologischen Kontrolle auf, typisches Zeichen für einen Pulpentod aufgrund des Schleiftraumas (Kerschbaum et al., Köln. Der Statistiker Kerschbaum publizierte im Übrigen auch, dass eine konservative Versorgung mit Kronen und Brücken im 10-Jahres-Zeitraum bei Kronenversorgung eine Überlebenserwartung von 67% und bei Brückenversorgung von 82% hat, Implantate hingegen erreichen eine 10-Jahresüberlebensquote von 95%) – so wird die Therapie schwierig. Eine lege artis Endodontie ist meist nur nach Abnahme der Brücke möglich, was fast immer eine Neuanfertigung nach sich zieht. Misslingt die endodontische Therapie, so fällt ein weiterer Zahn und muss ebenfalls ersetzt werden. Über einen längeren Zeitraum wird so der Weg zum Totalersatz bereitet. Dies liegt weder im Interesse des Patienten noch des Kostenträgers und auch nicht des Zahnarztes.
Wird anstelle einer Brücke ein Implantat zum Ersatz eines Zahnes eingesetzt, so fällt im Fall des Scheiterns lediglich der Ersatz des einen Implantats, nicht jedoch einer mehrere Zähne umfassende Brückenkonstruktion an.
Die Überlegenheit der implantologischen Versorgung ist demnach sowohl vom medizinischen Standpunkt (Überlebensrate) als auch wirtschaftlichen (preiswerte Lösung bei Ausfall – bei Brücken immerhin 18 % innerhalb von 10 Jahren!) gegeben.
Trotz aller Fortschritte ist die Implantatversorgung auch heute noch hochkomplex und kostenintensiv. Es ist deshalb besonders anzuraten, via Qualitätsmanagement die Behandlung zu systematisieren und präzise Therapieprotokolle zu errichten, die eine Reproduzierbarkeit gewährleisten. Eine Systematik, die in QM-Protokolle zu integrieren wäre, soll im Folgenden, basierend auf aktuellen Daten, versuchsweise vorgestellt und beschrieben werden. Dabei sollte eine Dynamik, wie vom QM vorgesehen, die stetige Anpassung an den Wissensstand ermöglichen.
Indikationseinschränkungen
Es ist trotz der unbestreitbaren Vorzüge der Implantatprothetik nicht immer die beste Lösung zum Implantat zu greifen. Einschränkungen können geben sein durch
anatomische Probleme
Bei sehr engem Zahnstand ist die Insertion eines Implantats oft nicht problemlos möglich, nicht selten besteht ein hohes Risiko, Nachbarzähne durch die chirurgische Maßnahme zu schädigen. Ebenso kann ein lange bestehender Zahnverlust zu solch massiven Atrophien führen, dass die Implantatinsertion mangels Knochenangebot nur nach Augmentation möglich würde. Die Augmentation gelingt jedoch nicht immer, so dass ein Teil der Patienten, die gewillt wären, Implantatersatz zu erhalten, so nicht versorgt werden können. Das Problem der extrem ausgedehnten Kieferhöhlen hingegen kann in den meisten Fällen einzeitig während der Implantatinsertion durch Sinuslift o.ä. gelöst werden.
Weitere Probleme können aus
Allgemeinerkrankungen
resultieren.
Es ist deshalb unbedingt erforderlich, eine Abklärung nach vorgegebenem Fragebogen (DGOI o.ä.) vorzunehmen und vor allem auch die Antworten der Patienten zu verifizieren, z.B. durch Untersuchungen beim Hausarzt oder Internisten. Typische Beispiele für Allgemeinerkrankungen, die eine Prognose fragwürdig machen, sind Leukämien, Diabetes (schlecht eingestellt!), HIV, usw.
Auch Erkrankungen aus dem Gebiet des Facharztes für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten können eine relative oder sogar absolute Kontraindikation bedingen. So sollte in keinem Fall in ein parodontal erkranktes Gebiss implantiert werden – erst nach vollständiger Ausheilung der parotontalen Veränderung kann eine Implantation mit geringer Komplikationsrate erfolgen. Der Hauptgrund: parodontopathogene Keime greifen nicht nur das Zahnhaltegewebe an, sie zerstören auch das Implantatbett.
Ebenfalls als Kontraindikation anzusehen ist die
Patientenbedingte Non-Compliance (Rauchen, unzuverlässige Prophylaxe, etc.)
Fälle unzufriedener Patienten, die Gutachter und Gerichte bemühen, sind nicht selten und nehmen auch weiter zu. Nähere Betrachtungen der Fallsituationen ergeben oft, dass implantiert wurde, obgleich der Patient dafür ungeeignet gewesen ist – eigene Analysen haben hier als Hauptursache für ein Scheitern ungünstige Habits der Betroffenen heruskristallisiert: der Kettenraucher, der seine Zähne wegen durch Rauchen unterhaltenen Parodontalkrankheiten verloren hat, verspricht gerne, das Rauchen einzustellen, wenn in Aussicht gestellt wird, er könne auf Implantaten basierenden festsitzenden Ersatzerhalten. Der Zahnarzt, der auf solche Versprechen hereinfällt und jetzt implantiert, kann herbe Enttäuschungen erleben. Es ist nicht ungewöhnlich dass das Rauchen eben nicht aufgegeben wird (insbesondere Frauen haben ein exzessives Suchtverhalten und kommen sehr schwer los von der Zigarette) und deshalb naturgemäß auch die Implantate wie vorher schon die natürlichen Zähne verloren gehen. Auch das ist dann nicht außergewöhnlich dass der Patient/ die Patientin dann die Schuld nicht bei sich und den falschen Gewohnheiten bzw. die Sucht, sondern beim implantierenden Zahnarzt sucht. Leider ist die Rechtslage so dass schon eine sehr starke Dokumentation vorliegen muss um hier Regressansprüche abzuwehren. Es wird leicht unterstellt, der Zahnarzt habe nicht richtig über die Risiken insbesondere des Rauchens aufgeklärt – und damit wird dann dem klagenden Patienten Recht gegeben.
Eine anderer wichtiger Aspekt ist die Prophylaxewilligkeit und –fähigkeit. Implantate bedürfen einer mindestens ebenso intensiven häuslichen Prophylaxe wie die natürliche Dentition. Der Zahnverlust resultiert ja generell – wenige Ausnahmen abgesehen – aus einer Vernachlässigung der häuslichen Prophylaxe. Die Statistik zeigt auch einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Wahrscheinlichkeit des Implantatverlusts und einer vorausgegangenen Parodontitis. Dies mag auch auf Wirtsfaktoren zurückzuführen sein, ist jedoch ein außerordentlich starkes Indiz für eine unzureichende häusliche Mundhygiene. Diese scheint über Jahrzehnte hinweg keine Verbesserung erfahren zu haben – der beobachtete Rückgang der Karies ist wohl eher den verbesserten Prophylaktika als verbesserter Hygiene zuzurechnen, was recht anschaulich durch die Zunahme an Parodontalerkrankungen nachzuweisen wäre (DMS IV).
Therapieprotokolle für solche Fälle
Rechtliche Grundlagen
Der BGH und ihm folgend die unteren Gerichte haben in zahlreichen Urteilen für den (Zahn)Arzt belastende Entscheidungen getroffen. So ist eine Beratung elementar, wobei auch auf relativ seltene Komplikationen einzugehen ist. Ohne korrekte Beratung wird jegliche Therapie per se obsolet.
Aus dieser Verpflichtung ergibt sich zwangsläufig die Pflicht zur Dokumentation. Man muss ja die erfolgte Beratung auch beweisen können. Als Beweis gilt
– Sorgfältiger Eintrag der Beratungsinhalte im Krankenblatt (Kartei)
– Niederlegung im QM sowie Unterschrift des Patienten auf Infoblättern
Die Dokumentation in der Kartei kann schwierig sein. Es ist zu bedenken, dass auch eine ausführliche Beratung ohne einen Rahmen bestimmte Inhalte übersehen kann – und, es ist sehr aufwändig, alles, was gesagt werden musste und gesagt wurde niederzuschreiben. Bei dem Umfang einer Beratung bezüglich Zahnersatz und den Alternativen Implantat/Brücke/schleimhautgetragender Ersatz einschließlich der Kontraindikationen Compliance/Allgemeinerkrankungen usw. hat man da rasch etliche Seiten zu beschreiben, ein kaum praktikabler Weg.
Bereitet man jedoch die Beratung richtig vor, d.h., es wird systematisch alles abgehandelt was theoretisch in der Beratung gesagt werden muss und strukturiert das so, dass man Bausteine nutzen kann, je nach Fall und Indikation, dann kann man die Bausteine geschickt einsetzen und für die Beratung verwenden. Vorgefertigte Aufklärungsformulare, die individualisiert werden müssen (auch das kann man systematisieren) sind da enorm hilfreich. Die Individualisierung wird von den Juristen ultimativ gefordert und muss nachgewiesen werden. Selbst eine Unterschrift des Patienten genügt nicht um die korrekte Beratung/Aufklärung einem Richter nachzuweisen – es muss etwas Individuelles dabei sein.
Diese strengen Regeln lassen sich am besten im Rahmen des QM erfüllen, da dabei sowieso klar strukturierte Vorgaben im QM-Handbuch zu listen sind.
Dann genügt eine Eintragung in der Kartei mit Verweisen auf die im QM niedergelegten Punkte bzw. Formulare und Aufklärungsschriften mit einem kleinen individuellen Zusatz.
Rechtsansprüche der Patienten
Ein mittlerweile großer Prozentsatz der Bevölkerung verfügt über eine Rechtsschutzversicherung. Erschwerend kommt hinzu, dass das Anwaltshonorar massiv angehoben wurde, und, es gibt eine richtige Juristenschwemme. Damit ist die Klagefreudigkeit enorm gestiegen – wir beobachten eine Zunahme an Kunstfehlerprozessen im jährlich zweistelligen Bereich.
Dabei haftet der (Zahn)Arzt nicht nur bei grober Fahrlässigkeit, sondern auch bei quasi schicksalhaften Ereignissen. Die obligate Haftpflichtversicherung, deren Prämien in schöner Regelmäßigkeit steigen, deckt lediglich Forderungen an Schmerzensgeld oder zusätzlichen Behandlungskosten durch andere Ärzte ab. Nicht versicherbar sind jedoch die Eigenleistungen – d.h., im Streitfall wird zumindest das zahnärztliche Honorar zurückgefordert, und die entstandenen Labor- und Materialkosten bleiben ebenfalls von der Haftpflicht unbezahlt. Daraus sind herbe Verluste abzuleiten.
Kommt Fahrlässigkeit hinzu, so hat der Zahnarzt auch ein Strafverfahren zu gewärtigen.
Dabei gilt es bereits als strafbar, wenn keine den juristischen Anforderungen gerecht werdende Beratung stattgefunden hat. Auch wurde quasi durch die Hintertür eine Beweislastumkehr eingeführt, d.h., der Zahnarzt muss meistens nachweisen, dass er nicht fehlerhaft gehandelt hat.
Als fehlerhaft würde in jedem Falle eine fehlende
Vorbehandlung
angesehen.
Dazu gehören eine
– PAR Therapie;
Diese kann nur begonnen werden wenn vorab eine vollständige konservierende Sanierung vorgenommen wurde.
Möglichweise – je nach Indikation – ist beine vorausgehende
– Knochenaugmentation
erforderlich. Das bedeutet, es muss eine vollständige und umfassende Planung vorliegen.
Ebenfalls obligat ist eine
– Prävention
wie sie ja auch in den Verträgen zur Parodontitistherapie vorgeschrieben ist.
Zur Planung – die beim Hauszahnarzt, aber auch beim implantologisch tätigen Spezialisten vorgenommen werden kann bzw. am besten in Form einer konsiliarischen Absprache – gehört, zu entscheiden, welche Art an Implantation für den Patienten am besten geeignet ist bzw. wofür sich beide – Arzt und Patient – entschieden haben. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass der bloße Wunsch des Patienten nicht genügt eine Entscheidung zu treffen. Der Arzt als Fachkundiger darf keine Gefälligkeitstherapie wider besseres Wissen bzw. entgegen allgemein verbindlichen medizinischen Grundsätzen beginnen. Hier sind die Leitlinien der entsprechenden Fachgesellschaften als Vorgabe heranzuziehen, da sich Gutachter stets daran orientieren (müssen). Wer Patienten einen Gefallen tun möchte und eine Therapie unternimmt, die problembehaftet ist, wird früher oder später vom enttäuschten Patienten vor den Kadi gezerrt, Dankbarkeit gehört nicht zum Standard-Repertoire der Patienten.
Unterscheiden können wir Implantattypen nach der Art der
Implantatinsertion
Wobei die anzuwendenden OP Techniken die Einteilung bedingen. Wir können unterscheiden eine Implantatinsertion
– mit Aufklappung
– transgingival
Weiterhin können wir unterscheiden
– Sofortimplantation
– Verzögerte Sofortimplantation
Die sorgfältige Befundung sollte Anhaltspunkte dafür liefern, welche Methode zum Einsatz kommen kann. Bei schlechter Knochenqualität und – menge sollte man wohl von der Sofortimplantation Abstand nehmen und eher ein zweizeitiges Vorgehen wählen. Hingegen hat die Sofortimplantatiin transgingival den Reiz,
die Belastung für den Patienten gering zu halten.
Neben den OP-Techniken ist auch zu differenzieren nach der Versorgungsform.
Hier wäre zu nennen die
– Sofortversorgung
mit oder ohne Sofortbelastung
oder die
– Versorgung nach Einheilung des Implantats
wobei der Zeitpunkt der prothetischen Weiterbehandlung abhängig ist von der mechanischen Stabilität. Bei Einzelzahnersatz im maxillären Bereich ist sicherlich eine länger Wartezeit angezeigt als bei verblockten Implantatrekonstruktionen (z.B. Stege) in der Mandibel, die praktisch immer als Sofortversorgung geplant werden können.
Nicht vergessen werden darf die
Nachbehandlung
mit einem zu Anfang engen Recall. Hier ist die häusli.che Mundhygiene zu überwachen, Schwächen sind aufzuzeigen, die PZR als wesentliches Instrument einer Recall-Betreuung ist zu Beginn in kurzer Frequenz durchzuführen, und auch eine röntgenologische Kontrolle ist angezeigt.
Hat das Implantat erst einmal das erste Jahr überlebt – was in einem erstaunlich hohen Prozentsatz der Fall ist – beginnt die
Langzeitbetreuung
Es sollte nie vergessen werden, dass ein Implantat stets eine Prothese darstellt, wenn auch eine sehr gute. Auftretende gnathologische Probleme (weiterer Zahnverlust, Versagen anderer prothetischer Rekonstruktionen, Bruxismus – z.B. verursacht durch beruflichen/privaten Stress -, oder anderes können eine bei Eingliederung perfekte Restauration gefährden. Zudem finden auch bei Implantaten analog zu natürlichen Zähnen entzündliche Veränderungen der marginalen Gewebe statt, die beim Implantat, anders als in der natürlichen Dentition, kaum mit Entzündungszeichen, wie Rötung oder Blutung einhergehen. Nur durch Sondierung und/oder röntgenologische Kontrollen lassen sich solche Prozesse, die stets auch mit einem Knochenabbau einhergehen, erkennen. Da derzeit die Therapie solcher unter „Periimplantitis“ subsummierten Phänomene schwierig ist, kommt einer Früherkennung besondere Bedeutung zu. Schwedische Studien haben gezeigt, dass etwa 15 Jahre post operationem die Anzahl an Veränderungen am periimplantären Gewebe deutlich zunimmt. Die für die Parodontologie entwickelten Therapien greifen beim Implantat nur eingeschränkt – Kürettagen sind in den Schraubengängen per se unmöglich, so bleiben nur der Einsatz lokal wirkender Antibiotika (systemische Präparate erreichen in den Gewindegängen kaum die nötigen Konzentrationen, um eine wirksame Antibiose zu bewirken) oder des Laser mit zielgerichteter Dekontamination der Implantatkörper. Interessant ist ein Ansatz, die Bakterien anzufärben und mit speziellem Laserlicht dann spezifisch abzutöten.
Besser ist es jedoch allemal den Prozess so frühzeitig zu entdecken dass eine Behandlung noch unter direkter Sicht nach Eröffnung der befallenen Lokation möglich ist – dabei kann dann auch der Pulverstrahl der Prophylaxegeräte sinnvoll eingesetzt werden.
Im äußersten Fall ist dann die Entfernung des Implantats unumgänglich, was dann zu besonderen Komplikationen führt: meist ist dann das Knochenangebot so dürftig, dass eine erneute Implantation nicht mehr möglich ist.