Ästhetik:
Keine weiße ohne „rote“ Ästhetik!
Die Patienten werden immer älter, jedoch ihre Ansprüche wachsen eher als dass sie gering er würden. Dies stellt die Zahnmedizin vor ganz neue Herausforderungen. Um Patienten fortgeschrittenen Alters ein eher jugendliches Aussehen zu geben sind gewaltige Anstrengungen hinsichtlich der kosmetischen Wirkung zahnärztlicher Restaurationen erforderlich: anstatt natürlicher Zähne, die im Alter stetig dunkler zu werden tendieren, wollen die Patienten helle, jugendliche Zahnreihen. Zahnlücken sollen nicht konventionell mit Brücken, sondern mit Implantaten geschlossen werden, und das Problem atrophierender Kiefer möchte schon gar niemand haben.
Das berühmte Hexenbild – massive Progenie, stark eingefallene Wangen -, ein typisches Erscheinungsbild alter Menschen ohne qualifizierte zahnärztliche Unterstützung, gilt als genaues Gegenteil von dem, was die Patienten wünschen.
Um den Anforderungen dieser neuen Generation „jugendlicher“ Alter, die auch über die nötigen finanziellen Ressourcen verfüg en, um es sich leisten zu können, gerecht werden zu können, muss jeder zahnärztliche Kollege zusätzlich zu funktionellen Aspekten auch ästhetisch/kosmetische Gesichtspunkte in das Therapieprotokoll aufnehmen.
Dabei gilt: es gibt keine weiße Ästhetik ohne die rote Ästhetik.
Weiße Ästhetik:
Mittlerweile hat sich durch den Einfluss der Medien eine für den Zahnarzt einfache Form der „weißen Ästhetik“ eingebürgert. Hauptsache weiß, der Rest ist Nebensache. Damit treten Anstrengungen, möglichst altersgerechte Restauration herzustellen, wie Typisierungen der Zähne, Individualisierung der Zahnform und -farbe, usw., eher in den Hintergrund. Gefordert werden einheitlich weiße, möglichst weißer als A1, viereckige Zahnblöcke, mit möglichst kleinen Mäusezähnchen.
Nun dürfen wir uns nicht zu einer Bevormundung unserer Patienten hinreißen lassen und die Wünsche kategorisch verweigern – dann findet eine Abstimmung gegen den Zahnarzt mit den Füßen statt. Nicht der Zahnarzt mit den möglichst naturnahen Dentitionen wird als „gut“ empfunden, sondern der, der „Hollywood“ am nächsten kommt.
Da „Ästhetik“ also den Zeitgeist widerspiegelt muss nur noch beachtet werden, was die Kostenerstatter dazu sagen – bedenken wir, dass gerade auf dem Gebiet der Ästhetik die Enttäuschung der Patienten am größten sein kann, da ist es nicht selten, dass der Weg zur Krankenkasse bzw. zum Gutachter gesucht (und gefunden!) wird. Über Geschmack sollte man nicht streiten, nur, Funktion oder medizinischer Nutzen, so etwas erschließt sich dem Laien/Patienten nicht, die sehen nur die „Ästhetik“, und zwar so, wie es ihnen gefällt.
In den Richtlinien (gemeinsamer Ausschuss der Spitzen der Zahnärzte und GKV-Kassen) finden wir:
Ziel der Versorgung mit Zahnersatz ist es, eine ausreichende Funktionstüchtigkeit des Kauorgans wiederherzustellen oder ihre Beeinträchtigung zu verhindern.
Der Zahnarzt soll Art und Umfang des Zahnersatzes nach den anatomischen, physiologischen, pathologischen und hygienischen Gegebenheiten des Kauorgans bestimmen. Im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung bestimmt der Zahnarzt nach entsprechender Aufklärung und unter Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten Art und Umfang der Behandlungsmaßnahmen. Der Zahnarzt hat den Patienten über die nach den Richtlinien ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Formen der Versorgung aufzuklären.
Die Schonung und Erhaltung natürlicher und intakter Zahnhartsubstanz hat Vorrang vor der Versorgung mit Zahnkronen. Zahnkronen sind angezeigt, wenn sich aus dem klinischen und röntgenologischen Befund der erkrankten Zähne einschließlich ihrer Parodontalgewebe ergibt, dass sie nur durch Kronen erhalten werden können.
Die Art zahnmedizinischer Maßnahmen bei der Neuversorgung hat der Gemeinsame Bundesausschuss für die Befunde „ww“ oder „pw“ bei der Befundklasse 1 (Erhaltungswürdiger Zahn) definiert:
Befund 1.1: Erhaltungswürdiger Zahn mit weitgehender Zerstörung der klinischen Krone oder unzureichende Retentionsmöglichkeit
Befund 1.2: Erhaltungswürdiger Zahn mit großen Substanzdefekten, aber erhaltungswürdiger vestibulärer und/oder oraler Zahnsubstanz
Die DGZMK veröffentlichte im Beitrag in den wissenschaftlichen Mitteilungen „Indikation von Kronen und Teilkronen (der geschädigte Zahn)“: „Indikation für die Therapie mit Kronen und Teilkronen können der Ersatz von fehlender Zahnhartsubstanz, verfärbte natürliche Kronen (Alternativen … sind abzuwägen), multiple Füllungen, der Aufbau fehlender Stützzonen, die Wiederherstellung der Kieferrelation, Brückenpfeiler und die Verankerung von kombiniertem Zahnersatz sein.“
Eine Indikation für eine Krone beim verfärbten Einzelzahn kann z.B eine Stabilisierung der Zahnhartsubstanz nach endodontischer Behandlung sein. Prinzipiell kann jedoch eine Krone nur dann als Regelleistung im vertragszahnärztlichen Bereich befürwortet werden, wenn der Zahn konservierend nicht dauerhaft versorgt werden kann (A. Walter, BZB 10/2012). Eine ästhetische Indikation bei einer Neuversorgung gehört nicht zum vertragszahnärztlichen Spektrum. Die vertraglichen Richtlinien legen fest, dass es ausschließlich auf den Zerstörungsgrad der Zahnhartsubstanz ankommt oder eventuell auf die Retention beim Befund „ur“. Da Walter KZBV-Referent für das Gutachterwesen ist, ist diese Aussage „offiziell“.
Grundlage dafür ist die gesetzliche und vertragliche Rahmenvorgabe: „Voraussetzungen für Leistungsansprüche der Versicherten im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung“
Demnach haben „…Versicherte …. Anspruch auf medizinisch notwendige Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (zahnärztliche und zahntechnische Leistungen) in den Fällen, in denen eine zahnprothetische Versorgung notwendig ist.
Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Dies gilt auch für gleichartige und andersartige Versorgungen.“
Die für uns verbindlichen Richtlinien zur Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen beschreiben unter D I 20:
Zur Regelversorgung gehören metallische Voll- und Teilkronen. Ebenfalls zur Regelversorgung gehören vestibuläre Verblendungen im Oberkiefer bis einschließlich Zahn 5, im Unterkiefer bis einschließlich Zahn 4. Im Bereich der Zähne 1 bis 3 umfasst die vestibuläre Verblendung auch die Schneidekanten.“
A. Walter: Die Gutachter legten bei ihrer letzten Tagung die Anforderungen bezüglich Qualität und Wirksamkeit an Verblendungen nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse wie folgt fest:
„Verblendungen sollen die natürlichen Zähne, soweit es möglich ist, ästhetisch imitieren. Dabei gilt:
– der vestibuläre Kronenrand soll epi- oder subgingival liegen und nicht sichtbar sein
– die Farbe soll den umgebenen Zähnen angepasst sein
– die Form soll ästhetisch den natürlichen Zähnen entsprechen
– die Brückenglieder sollen natürlich auf dem Weichgewebe aufliegen
– das umgebene Weichgewebe soll natürlich erhalten bleiben
– die Lippenform und der Gesichtsausdruck sollen natürlich erhalten bleiben
Bei den Anforderungen an die Gestaltung von Kronen oder Brückengliedern ist immer die Patientenanatomie zu berücksichtigen.
Bei der Lage des Kronenrandes muss besonders die Gingivamorphologie berücksichtigt werden.
Bei einer dünnen Gingiva oder nur wenig Attached Gingiva ist eine optimale Lage des Kronenrandes oft nicht möglich. Auch kann der Kronenrand bereits nach einigen Monaten durch Rezession entblößt werden. In diesen Fällen liegt kein zahnärztlich zu vertretender Mangel vor.
Allerdings wurde z.B. von den Gutachtern übereinstimmend angesehen, dass, wenn die Metallränder bei Doppelkronen im Frontzahnbereich nach der Eingliederung vollständig sichtbar waren, dies ein Mangel sei.
Walter: Insuffiziente Verblendungen, die nicht mehr den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse erfüllen, können mit den Befunden „kw“ oder „tw“ bezeichnet werden. Hierbei liegt keine absolute Indikation wie bei funktionellen Mängeln zum Beispiel in den Bereichen Kinetik, Okklusion, mangelhafte Reinigungsmöglichkeit oder Phonetik vor, sondern eine relative Indikation.
Die insuffiziente Verblendung muss für den Patienten eine psychische Belastung darstellen, die nachvollziehbar ist. Dabei kann Ästhetik nicht allgemeingültig definiert werden und variiert individuell und zeitlich.
Bei objektiv nicht nachvollziehbaren Wünschen des Patienten handelt es sich um rein kosmetische Maßnahmen, die keine vertragszahnärztliche Versorgung indizieren (offizielles Statement der KZVB).
Diese Statements wird deshalb z.T. wörtlich zitiert, weil sie rechtlich bindend für den praktizierenden Zahnarzt sind, allerdings gelten unsere Beispiele nur im Bereich der KZV Bayern (der Föderalismus kann durchaus in anderen KZV-Bezirken andere Vorgaben hervorgebracht haben). Es ist somit dringend notwendig sich in den Standesblättern die jeweilig en Auslegungen des SGB V anzulesen.
Die Richtlinien sind verbindlich, eine Abweichung wird im Prüffall zu Regressmaßnahmen führen. Die örtliche KZV sollte auf Anfrage die RiLis zur Verfügung stellen. Da die RiLis prinzipiell bundesweit gelten und lediglich die präzise Umsetzung im Einzelfall durch den lokalen Gutachter variieren kann sollte sich der Zahnarzt im Streitfall auf die hier beschriebenen Prinzipien berufen können.
Rote Ästhetik
Auf dem Gebiet der roten Ästhetik gibt es so gut wie keine “amtliche” Vorgabe. Dessen ungeachtet: Kassenleistung ist die „Prothese“, anderes ist Privatsache, um es verkürzt auszudrücken. Was hat die Vollprothese bzw. Klammerprothese (die ist Kassenleistung!) mit Ästhetik zu tun? Rote Ästhetik wird hier mittels rosa Akrylatkunststoff interpretiert, und auch bei festsitzendem Ersatz kommt „rote Ästhetik“ praktisch nicht vor. Ausnahme: das Brückenglied im Frontzahnbereich, das auf der Gingiva aufliegen soll. Daraus folgt jedoch bereits unmittelbar, dass es etlicher Wartezeit bedarf bis zur Anfertigung von ZE nach Extraktion, da wie bekannt eine massive Atrophie des Alveolarfortsatzes im ersten Jahr nach Zahnverlust einsetzt. Dadurch kann es nach zu rascher Eingliederung von ZE zu der o.a. genannten Lücke zwischen Brückenglied und Weichgewebe kommen, die bei Gutachtern auf wenig Gegenliebe stößt.
Um der roten Ästhetik trotzdem Rechnung zu tragen, sollte bereits bei Extraktion bzw. der Planung einer solchen an die Versorgung gedacht werden: wie soll diese aussehen? Ist eine konventionelle Versorgung mit Brückenersatz geplant? Denkt man eventuell an einen Lückenschluss mittels Implantat?
Diese Überlegungen wirken sich auch auf die Art der temporären Versorgung aus, und ebenso muss ggflls. eine Gewebeaugmentation angedacht werden. Dabei gelten wiederum die Grundprinzipien der RiLis bzw. der DGZMK: Erhalt bestehender Strukturen ist dem Wiederaufbau vorzuziehen. Das bedeutet: schon bei der Planung einer Extraktion ist daran zu denken, bestehende Alveolarstrukturen möglichst zu schonen bzw. zu konservieren.
Dies kann erreicht werden durch schonende atraumatische Extraktion sowie Techniken der „Socket Prevention“. Ten Heggeler hat 2010 eine Metaanalyse der bis dahin publizierten Arbeiten zu diesem Thema vorgenommen. 1918 Veröffentlichungen auf Medline sowie 163 auf Cochrane wurden einbezogen – im Ergebnis fand der Autor, dass nach Extraktion 2,6 bis 4,6 mm in der Dicke sowie 0,4 bis 3,9 mm in der Höhe an Alveolarkamm verloren gehen. Wurden Techniken der Socket Prevention angewandt, so konnte der Verlust an Knochen auf 1,2 mm in der Breite reduziert werden (bei Einbringung von gefriergetrocknetem humanem Knochenpräparat direkt nach Extraktion in die Alveole).
Man kann also einen Knochenverlust, der bei Restauration zu einer Beeinträchtigung der roten Ästhetik führt, nicht gänzlich verhindern, jedoch zumindest verringern.
Andere Publikationen zeigen eine Reduktion des Knochenabbaus nach Sofortimplantation, und manche Autoren belassen Wurzelreste, um dann vor Restauration mittels kieferorthopädischer Elongation des belassenen Wurzelrests Knochenhöhe zu gewinnen.
Knochenatrophie zieht stets eine Verschlechterung der roten Ästhetik nach sich und kann also vorausblickend reduziert bzw. im Nachgang nur durch Augmentationstechniken angegangen werden. Reine Weichgewebsmanipulationen versprechen wenig Erfolg, da der unterstützende Knochen fehlt, so dass transplantiertes Weichgewebe (z.B. Bindegewebstransplantat) ziemlich rasch wieder verlorengeht.
Für den Prothetiker stellt sich leider meist die Situation mit bereits massiver Atrophie der Alveolarstrukturen dar – hier sollte heute stets die Hilfe eines Chirurgen in Anspruch genommen werden, da zahntechnische Kniffe nur sehr bedingt vorhandene größere Defekte touchieren können.
Fassen wir zusammen:
Bei ganzheitlicher Betrachtung lässt sich weiße Ästhetik ohne entsprechende rote Ästhetik kaum realisieren. Nimmt man dies als Postulat an, so ist es dringend erforderlich, neben Zahnstrukturen auch Knochenstrukturen so weit als möglich zu erhalten. Besonders drastisch zeigt sich das Bild nach konventioneller PAR-Therapie – die berühmt-berüchtigten „Spargelzähne“ nach erfolgreichem Abschluss der gegen den Fortschritt der entzündlichen Prozesse gerichteten Therapie können kaum als ästhetisch angesehen werden. Hier sind ebenso Techniken zur Verbesserung der röten Ästhetik gefordert, z.B. geweberegenerative Verfahren. Jedoch gilt auch hier: Prophylaxe (z.B. durch frühzeitige Intervention) ist die beste aller Möglichkeiten.