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Das Bild der Welt in Foto- & Videokunst

Hamburg – Mit der Ausstellung Here We Are Today. Das Bild der Welt in Foto- & Videokunst eröffnet das Bucerius Kunst Forum die neuen Räume am Alten Wall. Im Zentrum der Schau stehen hochaktuelle Fragestellungen unserer globalisierten Gesellschaft. Die knapp 90 gezeigten Fotografien und Videos konzentrieren sich auf die Themen Identität, Heimat, Vergangenheit, Verbrechen und Kapital. Die exemplarischen Positionen kommen von bedeutenden zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern wie Andreas Gursky, Pieter Hugo, Shirin Neshat oder Hito Steyerl.

Ausstellung „HERE WE ARE TODAY
DAS BILD DER WELT IN FOTO- & VIDEOKUNST“ im Bucerius Kunst Forum  Foto: Ulrich Perrey

 

 

Videokunst und Fotografie greifen aktuelle Themen des gesellschaftlichen Diskurses so unmittelbar auf, wie kaum eine andere Gattung der bildenden Kunst – nicht zuletzt aufgrund des visuellen Realitätsbezugs. Die von Dr. Kathrin Baumstark kuratierte Ausstellung Here We Are Today konzentriert sich daher auf diese beiden Medien. Gezeigt werden 80 größtenteils seriell angelegte Fotografien und sieben Videos. Die Schau versammelt exemplarische Positionen von 15 bedeutenden zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern: Zarina Bhimji, Johanna Diehl, Samuel Fosso, Andreas Gursky, Pieter Hugo, Bertram Kober, Herlinde Koelbl, Eva Leitolf, Shirin Neshat, Marcel Odenbach, Erkan Özgen, Trevor Paglen, Peter Piller, Hito Steyerl und Tobias Zielony. Sie ist gegliedert in die fünf Themenbereiche Identität, Heimat, Vergangenheit, Verbrechen und Kapital.

Bertram Kober Friedhof 2017

Kaum ein Begriff wird gegenwärtig so instrumentalisiert wie jener der Identität. Die Fragen nach dem Eigenen und dem Fremden, nach unseren Werten und unserer Identität sind allgegenwärtig. Identitätsfragen lassen sich auch als Symptome für gesellschaftliche Umbruchsituationen verstehen, die in den ausgestellten Fotoserien und Videoarbeiten teils sehr persönlich, teils allgemeingültig verhandelt werden. So macht Shirin Neshat im Film Roja bezugnehmend auf ihre eigene Identität als Exilantin, die weder in der westlichen Welt noch in ihrer ursprünglichen und emotionalen Heimat Iran willkommen ist, den Grad an Identitätsverlust nachvollziehbar, den Menschen erfahren, die nicht in ihre Heimat zurückkehren können.

Ausstellung „HERE WE ARE TODAY
DAS BILD DER WELT IN FOTO- & VIDEOKUNST“

Der Heimatbegriff im modernen Sinne ist im 19. Jahrhundert entstanden als Gegenentwurf zur Industriegesellschaft, als Sehnsuchtsort. Und auch dieser Sehnsuchtsort wurde und wird nicht selten politisch instrumentalisiert. Der Begriff Heimat wird verbunden mit Geborgenheit, Sicherheit, Zugehörigkeit. Im besten Sinne ist noch Raum für Andere und für Unbekanntes, doch oft genug wird das Fremde als Bedrohung erlebt. Eva Leitolf reagiert in ihrer in der Ausstellung gezeigten Fotoserie Deutsche Bilder – eine Spurensuche auf die Reihe massiver rechtsextremer Gewalttaten gegen Asylsuchende in den 1990er Jahren. Sie fotografierte die Tatorte der Anschläge, Sympathisanten im Umfeld, Opfer und unbeteiligte Zuschauer und wirft dabei die Frage auf „Ist das unsere Heimat?“.

Der Umgang mit der eigenen Biografie, aber auch mit der Geschichte des Heimatlands wurde im 20. Jahrhundert zu einem wichtigen Bezugspunkt der bildenden Künste. In Form von Geschichten verweisen die Fotoserien und Videoarbeiten im Kapitel zum Thema Vergangenheit auf eine Zeit, die weder rückgängig noch wiedergutgemacht werden kann, für die wir aber trotzdem Verantwortung zu übernehmen haben. Gezeigt wird hier unter anderem die Serie Ein ruhiger Tag (1936-2009), in der sich Johanna Diehl der jüngeren deutschen Geschichte zuwendet: Sie fotografierte die Tagebucheinbände ihrer Großmutter, die trotz aller politischen und gesellschaftlichen Geschehnisse ihrer Zeit nur gefüllt sind mit Belanglosigkeiten und so stellvertretend für das Schweigen einer ganzen Generation stehen.

Wie lassen sich Verbrechen gegen Völker oder Volksgruppen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen? Kunst kann dies abstrakt oder an Einzelschicksalen, ganz nah oder aus weiter Ferne. Insbesondere die Foto- und Videokunst kann sichtbar machen, was anderswo unsichtbar bleibt. Ein Beispiel in der Ausstellung sind die Arbeiten Untitled (Reaper Drone) von Trevor Paglen. Beim genauen Betrachten der Fotos offenbart sich, dass die scheinbar schönen Himmelslandschaften von kleinen Punkten durchzogen sind – militärische Drohnen, mit denen aus großer Entfernung Menschen getötet werden.

Kapital ist in der bildenden Kunst schon sehr lange Thema und Motiv. Doch längst ist die Kunst selbst ein eigener Faktor auf dem Kapitalmarkt geworden. Dennoch gibt es zahlreiche zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen, die sich kritisch mit dem Thema Kapital auseinandersetzen. So zeigt etwa die Arbeit Permanent Error von Pieter Hugo das Gefälle zwischen Privilegierten und Abgehängten in unserer globalisierten Welt. Seine Fotos sind entstanden in Agbogbloshie – einer Müllhalde für auch legal eingeführten Elektroschrott in der ghanaischen Hauptstadt Accra und einem der am meisten kontaminierten Orte der Welt. Deutlich wird, wie die Konsumgesellschaft ihre Opfer fordert, oft auf der anderen Seite der Erde.

Mit diesen fünf Themen – Identität, Heimat, Vergangenheit, Verbrechen und Kapital – werden die Besucherinnen und Besucher in der Ausstellung immer wieder konfrontiert. Dabei sind die einzelnen Themenbereiche alle eng miteinander verwoben und inhaltlich nicht immer scharf voneinander zu trennen. Die Fotografien und Videos visualisieren die Fragen der Betrachtenden zu diesen sehr aktuellen Themen, ohne jedoch eine Antwort zu geben bzw. geben zu wollen. Viele der Werke verdichten Lebenserfahrungen, die wir aufgrund unserer Herkunft und Geschichte nicht teilen, doch an denen wir Anteil nehmen können. Sie weisen dabei stets über das Individuelle hinaus. Die Arbeiten sind geprägt von einer sehr hohen Ästhetik, der manchmal die Inhalte konträr gegenüberstehen. Gemeinsam ist den versammelten Werken, dass sie den Betrachtenden ganz unmittelbar ansprechen, berühren, zum Nachdenken und Hinterfragen der eigenen Position anregen wollen. Sie helfen, sich in der heutigen Gesellschaft zu verorten und selbst Position zu beziehen zu den virulenten Fragestellungen unserer Zeit. Diese Kunst ist zugänglich, nicht hermetisch. Sie sperrt sich nicht gegenüber ihrem Publikum. Diese Offenheit ist ein wesentliches Merkmal der gesellschaftlichen Relevanz. Jede der gezeigten Arbeiten ist das Mosaikteil einer Antwort auf die Frage: Wo stehen wir heute?

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