Unsere Patienten werden immer älter – und haben noch eigene Zähne!
KPZ (Kuratorium perfekter Zahnersatz) reagiert mit Berufung von Gerostomatologin in den Beirat
Symptomatisch für die Situation ist die Aussage einer Kollegin: „Was mach´ ich bloß mit meinen noch bezahnten 100jährigen?´´. Da ist guter Rat teuer. Wir können uns kaum an die Wissenschaft halten, denn, nachdem es kaum eigene Lehrstühle für Kinder- und Jugendzahnheilkunde gibt (die Fächer werden meist mit vertreten von den Ordinarien „Kons“, wie im übrigen auch das Fach Parodontologie, obgleich es da partielle Verbesserungen gegeben hat), und nur noch ein einziger Lehrstuhl für Prophylaxe (aktueller Kenntnisstand des Autors) existiert, lohnt es sich, einmal nach Spezialisten für Alterszahnheilkunde bzw. geriatrische Zahnmedizin zu suchen. Es ist eine Schande: in Deutschland existiert, im Gegensatz zu anderen Industrieländern, kein solcher Lehrstuhl, nicht mal eine Abteilung für Senioren (zahn) medizin ist zu finden. Dabei ist die Demoskopie doch bekannt, alle Welt spricht im Zusammenhang mit der zweifelhaften Finanzierung der Sozialsysteme sowie der Problematik Zuwanderung kaum noch von etwas anderem als von einer stetig alternden Gesellschaft. Dabei wird von immer weniger Kindern relativ zu Senioren gesprochen. Nur seltsam, dass die Gesellschaft anscheinend auf die Herausforderungen nicht reagieren mag oder kann. Nicht nur, dass Betriebe kaum oder gar keine älteren Mitarbeiter beschäftigen – die werden ab 50 „entsorgt“ -, man macht sich auch kaum Gedanken zur (zahn)medizinischen Betreuung älterer. Geriatrie, ein tolles Wort – nur wenn es um konkrete Dinge geht, dann findet man kaum konkretes. Alte werden in den Kliniken als belastender Kostenfaktor angesehen, sie werden deshalb so rasch als möglich in die Pflege abgeschoben – ist ja dann eine andere Kostenstelle. Aber wenigstens finden wir ab und zu Fachärzte für Geriatrie – bei uns Zahnärzten ist da Fehlanzeige. Dabei sind doch die Zahnärzte in Deutschland überaus erfolgreich in der Zahnerhaltung; betreffs Zahnlosigkeit findet sich die BRD in der Spitzengruppe (eine solche ist, der Statistik nach, kaum anzutreffen). Und besonders wichtig in diesem Zusammenhang: die Zahl der Vollprothesenträger hat kontinuierlich und deutlich abgenommen – auf uns kommt tatsächlich eine Welle von 100-jährigen mit eigenen Zähnen zu. Dass da auch großer Bedarf für altersgemäßen Zahnersatz besteht sollte einleuchten.
Wenigstens das „Kuratorium perfekter Zahnersatz“ hat schon mal reagiert auf die neuen Herausforderungen. Mit Prof. Dr. Ina Nitschke (Leipzig und Zürich) wurde erstmals eine Wissenschaftlerin auf dem Gebiet geriatrische Zahnheilkunde in den Beirat berufen, dem neben ihr noch Prof. Dr. Klaus Lehmann, Prof. Dr. Jürgen Geis-Gerstorfer sowie ZTM Hans-Jürgen Borchard und ZTM Wolfgang Kohlbach angehören. Den Vorsitz des Kuratoriums hat seit Anfang 2009 Prof. Dr. Hans-Christoph Lauer von der Goethe-Universität Frankfurt inne.
Zahnersatz aus Deutschland – warum denn, wenn es doch billigen Ersatz aus dem Ausland gibt? Dieser Frage müssen wir uns täglich aufs Neue stellen, denn, unsere Patienten fragen danach. Auf diese Frage hat das Kuratorium versucht, schlüssige Antworten zu geben. Und, man sollte auch diese Frage stellen: was denkt sich ein Patient, wenn der deutsche Zahnarzt billigen (preiswerten?) ausländischen Zahnersatz anbietet und eingliedert? Wenn der Patient damit zufrieden ist wäre doch der nächste gedankliche Schritt den Zahnersatz gleich ganz im Ausland anfertigen zu lassen, dann spart man ja auch noch beim Zahnarzthonorar – und zunehmend viele Patienten tun genau dies. Wir müssen aufpassen, dass wir als deutsche Zahnärzte uns nicht zu Servicecentern für irgendwo auf der Welt billig eingegliederten Ersatz degradieren. Was auch zu diskutieren wäre: die Zahnheilkunde samt Zahntechnikerhandwerk ist ein wichtiger Wirtschaftszweig und Arbeitgeber in der BRD (hierzu Zahlen: Ende 2008 waren 84.400 Zahnärzte gemeldet, davon 55.173 niedergelassen – Frauenanteil 36,5 bei den niedergelassenen, insgesamt bereits 40,4, Tendenz steigend – und 11.145 berufstätig ohne eigene Praxis, sowie in 2009 8.479 Zahntechnische Labore, mit einem Zahnersatzumsatz von – 2008 – 2,92 Mrd. €, mit Behandlungskosten je GKV-Mitglied in 2008 in Höhe von 213,87 €). Dass diese Ausgaben zwangsläufig werden steigen müssen, hat mit der Demoskopie zu tun.
„Die Deutschen werden immer älter – in Zukunft sehen wir daher eine der Schlüsselaufgaben der Zahnmedizin in der Erhaltung von Mundgesundheit und Funktion auch im hohen Alter", erläutert der Leiter des wissenschaftlichen Beirates des KpZ, Professor Hans-Christoph Lauer, die Berufung von Professorin Ina Nitschke aus Berlin.
„Terminvereinbarung, Anfahrtsweg, Wartezeit: Für viele Senioren wird mit Zunahme der Gebrechlichkeit der regelmäßige Besuch beim Zahnarzt beschwerlicher. Die Zähne werden dann schnell vernachlässigt.", so Professorin Nitschke, die auch Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin ist. Oftmals würde dabei aber übersehen, dass gesunde Zähne einen wesentlichen Beitrag zum allgemeinen Wohlbefinden leisten. Um die Mundgesundheit und die damit verbundene Lebensqualität trotzdem zu bewahren, sei es notwendig, dass ältere Mitmenschen einen guten Zugang sowohl zu Präventionsleistungen als auch zur Versorgung mit Füllungen und Zahnersatz haben.
Wie wollte man das Problem lösen, wenn es keine örtliche Nähe gibt? Und ohne gute Kooperation zwischen Zahnarzt und Zahntechniker – dem ZE-Team – geht das schon gar nicht. Nehmen wir uns mal den Qualitätsbegriff vor: unter Qualität verstehen ZE-Team und Patient durchaus unterschiedliche Dinge. Für Patienten muss ZE einfach nur „schön“ Sein; am besten „unsichtbar“ (so ZTM Lüttke). Jeder Zahn ist ein Unikat, auch bei ZE, und optimal ist, wenn man das Unikat perfekt nachzubilden versteht. Das ist am besten zu realisieren, wenn der Techniker von Beginn an mit einbezogen wird. Zur Sicherung solcher Vorstellungen hat der VDZI in Zusammenarbeit mit der Universität zu Frankfurt ein branchenspezifisches QM-System entwickelt und den Betrieben zur Verfügung gestellt. „Weil sich die Altersstruktur der Gesellschaft deutlich verschieben wird, muss sich auch das zahnärztliche und zahntechnische Anforderungsprofil verändern", bestätigt auch Professor Lauer. Er erklärt: „Das Kuratorium will sowohl die breite Öffentlichkeit als auch Zahnärzte und Zahntechniker für die Bedürfnisse älterer Patienten sensibilisieren. Wir freuen uns daher besonders, dass wir in unserem Beirat nun von den Erfahrungen und Kenntnissen Frau Professorin Nitschkes profitieren können."
Eine nur lose Kooperation zwischen Zahnarzt und Zahntechniker wird die Anforderungen nicht erfüllen können, davon ist Lauer überzeugt. Denn dann würde das Team nur nach „try and error“ arbeiten, und das ist ineffizient. Es wäre viel sinnvoller, strukturiert mit bewährten Partnern zusammenzuarbeiten.
Insbesondere wenn man sich mit der Zukunft, also der geriatrischen Zahnheilkunde, auseinandersetzt, gilt es umzudenken. Haben wir heute sowieso schon eine inhomogene Bevölkerung, in der soziale Unterschiede immer wichtiger werden in der Auswahl von Therapie Möglichkeiten, so gilt dies verstärkt für Senioren. Die Bevölkerungsgruppe der Senioren ist, so Nitschke, besonders inhomogen, worauf Rücksicht zu nehmen ist. Ein interessanter Ansatz ist der „Karottenkautest“: man lässt eine definierte Zeit lang ein definiertes Karottenstück kauen, sammelt dann das zerkaute Produkt (nicht schlucken lassen!) und wertet das Ergebnis aus nach dem Kriterium der Zerkleinerung. Da kann man sich objektiv orientieren, wie gut oder schlecht die Qualität von Zahnersatz ist.
Problematisch ist die abnehmende Kontakthäufigkeit ab 70 Jahren – die Patienten finden den Weg zum Zahnarzt zunehmend beschwerlich – da muss der Zahnarzt immer mehr zum Patienten kommen! Besonderes Problem bei Alten ist auch die Demenz, die laut Statistik in der BRD deutlich zunimmt.
Bei der abnehmenden Mobilität der Patienten kann man – so die Empfehlung – gerne auch Fahrdienste der Labore in Anspruch nehmen, das macht dem Zahnarzt den Hausbesuch zumindest für eine gewisse Zeit entbehrlich…